Was 2023 so alles geschieht
Eine subjektive Bestandsaufnahme
Das von den Verkehrsverbünden VVO und ZVON betriebene Ostsachsennetz II war auch 2023 in ständiger Bewegung. Davon handelt diese Seite. Und sonst: es fahren natürlich auch Züge, die ab und an auf meiner Sichtungsseite verewigt werden.
»» Fortsetzung von: Was 2022 so alles geschah.
Ein gutes neues Jahr, oder so
Zu Silvester knallte und rauchte es wieder heftig. Drei Jahre Corona erheischten eine geballte psychische Entlastung. Dabei gingen mal wieder einige Scheiben zu Bruch. Junge Männer, mit oder ohne Alkohol, the same old story im CDU-AfD-Freistaat. In Kubschütz mußte das gläserne Seitenteil eines Wartehäuschens daran glauben. In Löbau wurde die Verglasung der Unterführung ramponiert. In Seitschen wurde diesmal nur geballert. Wenn mann jung ist, geht man halt auf ein laut dröhnendes Konzert oder knallt sich in der Seitschener Bahnhofsunterführung das Trommelfell weg. Den dabei entstehenden Müll dürfen dann andere wegräumen. Alles so wie in der Welt der Erwachsenen.
An Silvester und Neujahr fiel zwischen Görlitz, Zittau und Dresden mal wieder der eine oder andere Zug aus. Das ist, bei allem Ärgernis, im Vergleich zur gesamten Republik fast schon vernachlässigbar; aber nur fast. Weitere vereinzelte Ausfälle gehörten auch in den Folgemonaten zum regulären Verkehrsangebot.
Am 15. Januar traf eine Regionalbahn von Zittau nach Dresden abends zwischen aus Wilthen und Neukirch auf einen umgestürzten Baum. Am 3. Februar traf es kurz vor Mitternacht einen Regionalexpreß von Dresden nach Görlitz bei Laucha kurz vor Löbau. Wobau hier der Begriff Baum ein relativer ist. Bilder derartiger Bäume zeigen eher Bäumchen; aber diese Bäumchen reichen aus, um die nach aktuellen Crashnormen versteiften Plastikschachteln am Weiterfahren zu hindern, die Front des Zuges zu demolieren und die Insassen beim Aufprall zu gefährden.
Anfang Februar erhielt der Fahrradunterstand in Seitschen eine verbesserte und wesentlich stabilere Version eines Fahrradständers.
Bild 1: Die alte und neue Version des Fahrradständers einträchtig nebeneinander. Beim zweiten Teil war die Lieferkette noch nicht vollständig durchlaufen; er kam aber noch. Aufnahme vom Februar 2023.
Von der Elektrifizierung der Strecke von Dresden nach Görlitz war auch in diesem Jahr immer mal wieder zu hören und zu lesen. Nachdem der Freistaat beschlossen hatte, die Verbindung von Berlin nach Görlitz vorrangig zu behandeln und in den Kohletopf zu werfen, sind die Erfolgsaussichten für einen Fahrdraht in Seitschen weiter gesunken. Es sei hier angemerkt, daß 2031 der Vertrag mit der Länderbahn ausläuft und dann auf jeden Fall neue Triebwagen gekauft werden müssen. Ein bißchen gesichert ist bislang eine Elektrifizierung von Dresden bis nach Demitz-Thumitz. Die betriebswirtschaftlich gepolten Schlaumeier gehen davon aus, daß mit dem Scwung, den sich die neuen Akkutriebwagen aus dem Fahrdraht ab Bischofswerda geholt haben, selbige bis Görlitz zur dortigen Aufladestation durchrollen können. Ob wenigstens Demitz 2031 unter Strom steht, ist aber noch lange nicht ausgemacht. Und die Reststrecke steht unter dem Finanzierungsvorbehalt des Bundesverkehrswegeplans. Je nach Untersuchung wurden in den vergangenen Jahren Kosten zwischen rund 500 Millionen und einer Milliarde Euro ermittelt. Das war noch vor dem Ablassieren der Konzerne mittels einer durchschlagenden Inflation. Unter anderthalb Milliarden Euro wird die Verstromung also (frühestens 2030) nicht zu haben sein, und zwar unabhängig davon, ob der Strom mit einer eigenen Trasse parallel geführt wird oder vom regionalen Stromversorger bezogen wird. Die Konkurrenzstrecke von Görlitz nach Berlin kommt allerdings auch nicht günstiger.
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer ist ein vehementer Befürworter des Ausbaus der Magistrale nach Berlin. Ihm schweben schnelle Züge von der Hauptstadt über Cottbus und Görlitz nach Wrocław (Breslau) vor. Daß es sinnvoll ist, die Strecke zu ertüchtigen, steht außer Frage. Ein zweigleisiger Ausbau für den Verkehr mit elektrischen Expreßzügen würde vollkommen ausreichen und zwischen den Megacities Berlin und Görlitz einen Fahrtzeitgewinn von vielleicht einer halben bis dreiviertel Stunde bringen können. Eine von Kretschmer halluzinierend eingebrachte grenzüberschreitende Verbindung mit ICEs oder ähnlichen Zügen würde hingegen allenfalls zwei- oder dreimal am Tag benötigt, wenn überhaupt. Das heißt, ein deutlich abgespecktes Projekt tut es auch, und das zukunftssicher.
Die lokale politische und wirtschaftliche Prominzenz versammelte sich am 26. April in Bischofswerda, um dem Bundesverkehrsminister einen gemeinsamen Brief zu schreiben. Sie nennen Kosten, welche die Deutsche Bahn mit 420 Millionen Euro ermittelt hat, und ein Einsparpotential von 100 bis 150 Millionen Euro durch eine regionale Stronzuführung ohne aufwendige Zusatzstromtrasse. Auch hier handelt es sich um Zahlen von anno dunnemals. Erstens sind diese ermittelten Kosten noch ohne Mehrwertsteuer und zweitens ohne Inflation und drittens werden die realen Kosten in zehn Jahren nochmals deutlich darüber liegen. Das heißt: hier wird viel Wind mit Phantasiezahlen gemacht, um das Projekt als finanzierbar hinzustellen. Finanzierbar ist es sicherlich allemal; das Dumme ist nur, daß die neoliberale Wirtschaftspolitik kleinkariert mit Fördermitteln aus undurchsichtigen Töpfen arbeitet. Wer das von Lohnarbeitenden und Dieselstinkern lukrierte Geld verschleudern kann, um den hungernden Aktionären des Intel-Konzerns rund zehn Milliarden Euro in den geldgeilen Hintern zu blasen, hat natürlich kein Geld mehr für sinnvolle Projekte. Die Prioritäten sind klar gesetzt: (Selbst-) Bedienung der Reichenklasse.
Nebenbei: ihr zahlt mit euren Krankenversicherungsbeiträgen die Dividenden der Betreiber der Krankenhauskonzerne. Auf Gesundheit kommt es dabei nicht an.
Zweieinhalb Monate später hatte das Berliner Ministerium den Bittstellern nicht einmal geantwortet. Deutlicher läßt sich wohl kaum die Ignoranz gegenüber den Wünschen aus der Oberlausitz ausdrücken. – Ob die vielen Herren und wenigen Damen aus Politik und Wirtschaft in Bischofswerda auch einmal nach dem stillen Örtchen des Bahnhofs geschaut haben, ist nicht überliefert. Selbige mit Münzen zu öffnende Örtlichkeit war im Herbst 2022 ausgefallen und wurde mangels Ersatzteil geschlossen. Selbiges mußte erst noch in einem aufwendigen Vergabeverfahren bestellt, in einem asiatischen sweat shop zusammengebastelt und mit einem prall gefüllten Containerschiff nach Europa gedieselt werden. Lagerhaltung, wie überall, Fehlanzeige. Die Reisenden werden bis zum Installationstermin irgendwohin in die ihnen unbekannte Innenstadt geschickt. Angeblich soll es dort eine öffentliche Toilette geben. So sieht heutzutage Kundinnenorientierung aus. Vor der Bahnreform gab es derartige Zustände nicht. Sogar im Seitschener Bahnhof gab es ein funktionsfähiges Plumpsklo. Derlei gehörte seit den Anfängen der Eisenbahn zur Reisekultur. Heutzutage wird bei uns auf den Cent geschaut und festgestellt, daß sich das Bereitstellen einer Toilette nicht rechnet.
Wenn der Betrieb nicht rund läuft
Im Frühjahr machten defekte Kabel der Schranken eines Bahnübergangs dem Bahnverkehr bei Löbau zu schaffen. Da die Deutsche Bahn als Infrastrukturbetreiber kein Personal vorrätig hält, mußten sich die Trilex-Triebwagen an den Bahnübergang heranpirschen. Das führte selbstredend zu erheblichen Verspätungen. Der Vorfall wiederholte sich mehrfach. Zu Reichsbahnzeiten hätte es Fachpersonal gegeben, welches den Defekt umgehend beseitigt hätte. In der auf Rendite getrimmten Marktwirtschaft erhalten wir stattdessen Murks.
Zum 1. April erhöhte der Verkehrsverbund Oberelbe wieder einmal die Fahrpreise, und zwar um durchschnittlich elf Prozent. Dies führte jedoch nicht dazu, daß auf den von DB Regio betriebenen Strecken die serienweisen Ausfälle von S- und Regionalbahnen aufhörten. Klar, auch DB Regio hat nicht genügend Personal; und im Gegensatz zu elektrischen Bauteilen läßt sich selbiges nicht in einer süd- oder ostasiatischen Klitsche billigst einkaufen. Erstaunlicherweise waren Zugausfälle beim Trilex im ersten Halbjahr eine Rarität. Vielleicht sind hier Löhne und Arbeitsbedingungen besser als beim auf Strukturversagen getrimmten Konkurrenten. Ich fürchte jedoch, daß das Angebot beim Trilex nur unter äußerster Anspannung aller Kräfte aufrecht erhalten wird. Soll heißen: nicht nur das Material, sondern auch das Personal wird auf Verschleiß gefahren. Und das geht auf die Dauer nicht gut.
Am 14. April veranstaltete der ZVON seinen „Komm Rum-Tag“. An diesem Tag soll ein interessiertes Publikum durch eine stark verbilligte Tageskarte zum Herumreisen mit dem öffentlichen Nahverkehr animiert werden. Der VVO hatte an diesem Tag ein ähnliches Angebot. Natürlich waren beide Tarife nicht miteinander kompatibel. Das wäre ja auch zu einfach, mit einer solchen Fahrkarte von Zittau aus Dresden zu erkunden oder umgekehrt. Dieses Jahr gab es an diesem Tag Regen. Regen, Regen und nochmals Regen.
Wer im Bereich des ZVON auf den kleineren Stationen aussteigen möchte, wird aufgefordert, die Haltewunschtaste zu suchen, zu finden und dann auch zu drücken. Dann sollte irgendwo eine Meldung erscheinen, etwa „Wagen hält“. In den Trilexen sind verschiedene Displays, manchmal auch Matrixanzeigen angebracht, die uns Fahrtziele, Uhrzeiten und die nächste Station nennen. Nun sollte frau oder man meinen, daß diese Informationsdinger einheitlich mit den notwendigen Ansagen und Meldungen versorgt werden. Dem ist jedoch offensichtlich nicht so. Beim Haltewunsch leuchtet bei den einen Displays im Zug ein roter Balken auf, bei den anderen dafür nicht. Es ist nicht einmal einheitlich geregelt, welche Displays jetzt was anzeigen sollen; das scheint in jedem Triebwagen unterschiedlich geregelt zu sein. Mal leuchten die Balken an den Türdisplays, mal wieder nicht, dafür an der Decke in den Gängen oder auch nicht, und nicht einmal alle Displays in den Gängen verhalten sich auf dieselbe Weise. Das heißt: um sicher zu gehen, daß der Haltewunsch auch bei der Triebfahrzeugführerin oder ihrem männlichen Kollegen angekommen ist, ist es hilfreich, auf mehrere Displays nach dem roten Balken zu schauen. Daß dieser Balken uns nicht sagt, daß der Triebwagen auch halten wird, sondern nur vor sich hinrotet, ist ein Unterphänomen dieser grottigen Einheit von Hard- und Software.
Das erste Halbjahr war geprägt von medienwirksam vorgetragenen Forderungen nach Zerschlagung der auf eine gewisse Weise ineffektiven Deutschen Bahn. CDU und CSU, die Monopolkommission und andere Berufene wollten das Faß ohne Boden dadurch retten, daß man die durch die Bahnreform gewollten Scherben weiter zerdeppert. Diese Logik ist einfach bestechend. Erst beschließen die „Reform“parteien CDUCSUFDPSPDGrüne ein Monster, das in Vorständen und Aufsichtsräten von der Konkurrenz aus der Automobilbranche und deren Verbündeten beherrscht wird. Dann setzen sie ausgesuchte Pfeifen vulgo Experten und Manager ein, die einen auf dicke Hose machen und weltweit Global Player spielen wollen, mit dem Ziel, das Unternehmen durch einen Börsengang abzuwickeln. Und dann, als das von ihnen zu verantwortende Strukturversagen nicht mehr abzuwenden ist, lamentieren dieselben Heinis der „pluralen Fassung einer Einheitspartei“ (Johannes Agnoli 1967 ) herum und wollen mit einer Bahnreform 2.0 das Kaputtmachen effektivieren. Wer auf der Strecke bleibt und wer das bezahlen darf, können wir uns jetzt schon denken …
Einige Wochen Baulärm
Bild 2: Die Baustelle in Seitschen.
Von Mitte April bis Mitte Mai wurden in Seitschen Schienen und Schwellen ausgetauscht und die Kante des Bahnsteigs in Richtung Dresden ertüchtigt. Anderthalb Wochen lang verkehrten Trieb- und Getreidezüge zwischen Bischofswerda und Bautzen auf dem RIchtungsgleis nach Bautzen. Es gab auch wieder einen Baustellenfahrplan, der jedoch – wie üblich – mehr versprach als er halten konnte. Diese mit Auf- und Abbau insgesamt einmonatige Operation wird auf einer ausgelagerten Seite ausführlich dargestellt.
Die erste Streckensperrung begann am 18. April um 21 Uhr. Damit die Fahrgästinnen und Fahrgäste auch rechtzeitig in Kenntnis gesetzt wurden, kam doch tatsächlich im Laufe des Tages das Servicepersonal und hängte im Schaukasten am Seitschener Bahnsteig den Baustellenfahrplan auf. Auch auf der Trilex-Webseite wurde der nur mit Bildschirmlupe zu lesende Fahrplan erst abends kurz vor Beginn der Maßnahme hochgeladen. Nur mal kurz bei Trilex und DB angefragt: seit wann wußtet ihr von der Maßnahme? Und warum verheimlicht ihr uns dann den Fahrplan bis wenige Minuten vor Ultimo? Denn das PDF trägt als Datum den 31. März. Da können wir doch froh sein, daß dieser Fahrplan uns nicht mit den branchenüblichen Verspätung erreicht hat oder die Mitteilung gleich ganz ausgefallen ist.
Wenn sich die Deutsche Bahn nicht selbst ein Bein stellt und der Verkehr mangels Personal, Ersatzteilen oder anderen Verzögerungen im Betriebsablauf ruht, gibt es noch zwei Gewerkschaften, welche die berechtigten Ansprüche der Beschäftigten vertreten. Dieses Jahr kam die zahmere Hausgewerkschaft EVG zum Zuge. Nicht einmal dieser gegenüber war das boniverwöhnte Management willens, Zugeständnisse zu machen. Folglich kam es zu Warnstreiks, die auch auf die Strecken ausstrahlten, auf denen Züge von Privatbahnen verkehren. Der erste begann um Mitternacht am Montag, 27. März, und dauerte bis in den frühen Nachmittag. Der letzte Zug aus Dresden, der in der Nacht von Sonntag auf Montag um 0:23 Uhr Seitschen durchfährt, kam noch planmäßig. Selbst eine Stunde nach Streikbeginn erschien noch die aus Dresden zurückkehrende Gravita. Am Nachmittag hingegen fielen noch einige Züge aus, obwohl der Warnstreik beendet war. Am folgenden Morgen sorgte das bestreikte Unternehmen ganz von alleine für Chaos auf der Schiene. Als Grund wurde wahlweise ein defektes Stellwerk und die Reparatur eines Signals zwischen Dresden Hauptbahnhof und Klotzsche angegeben. Einige Züge erreichten Seitschen bis zu 50 Minuten später.
Der zweite Warnstreik begann am Freitagmorgen des 21. April um drei Uhr und dauerte acht Stunden. Es brauchte danach wiederum einige Zeit, bis die Züge wieder nach Fahrplan fuhren. Ab dem späten Sonntagabend des 14. Mai war ein dritter, diesmal zweitägiger Warnstreik angekündigt worden. Dieser wurde jedoch kurzfristig abgesagt, nachdem Gewerkschaft und Bahn vor dem Arbeitsgericht Frankfurt einem Vergleich zugestimmt hatten. Die Länderbahn hatte schon einen rudimentären Busnotbetrieb organisiert.
Am 31. Mai wurde im leer stehenden Bahnhofsgebäude von Seifhennersdorf Feuer gelegt, was erhebliche Schäden nach sich zog. Der Bahnhof war 2003 zusammen mit Hunderten anderer Objekte von der Deutschen Bahn an eine seriöse Investmentfirma vulgo „Investor“ vulgo „Heuschrecke“ verkauft worden und fand rund zehn Jahre später einen neuen Käufer. Zum kleinen Fahrplanwechsel am 11. Juni fuhr nach acht Jahren wieder ein Trilex-Triebwagen aus Zittau kommend in Seifhennersdorf ein.
Bild 3: Im April 2017 besuchte ich am „Komm Rum Tag“ bei trübem, kühlem und windigem Wetter den Bahnhof in Seifhennersdorf.
Anfang Juni war der Aufzug des Mittelbahnsteigs in Bautzen wieder einmal außer Betrieb. Die Deutsche Bahn kriegt es einfach nicht hin, eine seit Jahrzehnten bewährte Technologie funktionsfähig zu halten. Bautzen ist hier ja kein Einzelfall. Überall in Deutschland beklagen Menschen mit und ohne Handicap diesen Mißstand. Hier wäre es dringend angesagt, daß in einem solchen Fall das Management aus der Plüschetage in Berlin postwendend mit ihren verspätungsanfälligen Hochgeschwindigkeitszügen (oder, als Extrastrafe, mit der Bummelbahn) anrauscht und alsdann schwere Koffer, Fahrräder, Menschen mit Rollatoren oder ihren schweren Handicaprollis rauf und runter trägt, jedenfalls solange, bis das Ersatzteil aus China eingetroffen und eingebaut ist. Die in der Sächsischen Zeitung zu lesende Ausrede ist einfach lächerlich: Das Ersatzteil müsse erst bestellt und eingebaut werden. Fallen eure Aufzüge bundesweit derart häufig aus, daß euch die Ersatzteile ausgehen? Habt ihr keine Wartungslogistik oder gar Lagerhaltung? Ah, Bahnreform!!!
Die Boni belohnen das Kaputtmachen der Bahn
„Kaum jemand macht sich die Mühe, den öffentlich zugänglichen Geschäftsbericht des DB-Konzerns zu lesen. Der ist aufgebaut wie der Geschäftsbericht einer üblichen international agierenden Aktiengesellschaft. Kriterien der Kapitalverwertung stehen im Vordergrund. So ist im DB-Konzern das entscheidende Zielkriterium für die erfolgsabhängige Vergütung des Vorstandes die Kennzahl ROCE, Return on Capital Employed, was Jahresüberschuss meint. Jede normal denkende Bürgerin würde erwarten, dass Daten wie Pünktlichkeit, Fahrgastzufriedenheit, reaktivierte und elektrfizierte Streckenkilometer, Steigerung des Frachtvolumens auf der Bahn und die Zahl der beförderten Passagiere Erfolgskriterien seien. Weit gefehlt, diese nachvollziehbaren Erfolgsparameter finden keinen Eingang in die ‚erfolgsabhängige‘ Vergütung der über 3000 bonusberechtigten DB-Führungskräfte.“
Am 17. Juli meldete die Trilex-Auskunft den Ausfall eines Aufzugs in Zittau. Der Einbau eines ebensolchen in Bischofswerda verzögerte sich weiter. War ursprünglich geplant, mit dem Bau des barrierefreien Umstiegs 2021 zu beginnen, wird die Maßnahme nunmehr frühestens Anfang 2025 beendet sein. Natürlich wußte die Deutsche Bahn vom Denkmalschutz der historischen Bahnsteigüberdachung, das hinderte sie aber nicht daran, einfach draufloszuplanen, um dann gesagt zu bekommen, daß man nicht einfach die historische Substanz zerstören kann.
Am 22. Juni kam der Triebwagen nach Görlitz, Seitschen ab 9:49 Uhr, zehn Minuten zu spät. Das wäre nicht erwähnenswert, weil derlei Pünktlichkeit zum Tagesgeschäft gehört. Die Begründung war das Warten auf einen entgegenkommenden Zug. Auf einer zweigleisigen Strecke …
Am 27. Juni fiel der Triebwagen von Bischofswerda ab 18:41 nach Görlitz aus. Grund war angeblich irgendeine Reparatur am Zug. In Seitschen warteten mehrere Personen, die aufgrund dessen wieder ins Auto stiegen. Sie werden nie wieder den Versuch einer Verkehrswende wagen.
Reisen mit dem Deutschlandticket
Das Deutschlandticket wurde nach langwierigen Diskussionen, die sich um abschreckende Preise und eine unwillig gewährte Finanzierung drehten, dann doch zum 1. Mai eingeführt. Um bestimmte Kundinnen- und Kundenkreise von vornherein auszuschließen, wurde erstens ein Abo verlangt, das zweitens nur online abgeschlossen werden konnte. Als Gelegenheitsfahrer bringt mir das also nichts, aber ich gehöre ja auch nicht zur anvisierten Zielgruppe. Vorzugsweise Pendlerinnen und Pendler sollen von ihren meist wesentlich teureren Monatskarten umsteigen und auch so einige derjenigen, die mit dem Auto zur Arbeit fahren. Das schließt zum Beispiel in der Oberlausitz diejenigen aus, die in den zahlreichen Dörfern ohne Bahnanschluß leben und bei denen der Rumpelbus in den Schulferien eingespart wird. Allenfalls kann es vorkommen, daß frau oder man mit dem Auto zur nächst gelegenenen Station fährt und dort mit dem Trilex weiterreist. Tatasächlich hat sich der kleine Pendlerinnen- und Pendlerparkplatz in Seitschen nach der Corona-begründeten Leere wieder recht gut gefüllt. Mehr als zehn Kraftfahrzeuge stehen hier allerdings selten.
Der ZVON ging davon aus, daß mit Einführung des verbilligten Tickets mehr Menschen mitfahren würden. Ohnehin sind die Triebwagen im zum VVO gehörenden Streckenabschnitt zwischen Radeberg und Dresden seit Jahren chronisch überfüllt, ohne daß der in Dresden residierende Verkehrsverbund Handlungsbedarf sieht. Sardinen sind eben nur glücklich, wenn sie in ihrem eigenen Saft stehen, denkt sich dessen klimagekühlte Geschäftsleitung. Jedenfalls vereinbarte der ZVON mit der Länderbahn, soweit möglich einen weiteren Triebwagen anzuhängen. Nun ist die Anzahl dieser Desiros endlich. Achtundzwanzig Triebwagen fahren zwischen Dresden und Görliz, Dresden und Zittau und zwischen Seifhennersdorf und Liberec. Deren Anzahl war anderthalb Jahre zuvor um zwei Triebwagen aus dem Bestand der insolventen Städtebahn erhöht worden, weil schon damals der Betrieb knirschte. Wie das nun gut gehen soll, wenn die in die Jahre gekommenen Desiros noch mehr belastet werden, müssen wir sehen. Schon jetzt fallen bei einzelnen Wagen Motoren aus (wie dem 642 322 am 26. Juni ) oder die Klimaanlage streikt. Hinzu kommt, daß seit dem Sommer bei allen achtundzwanzig Wagen eine Hauptuntersuchung ansteht, die jeweils einige Wochen benötigt. Das heißt, bis Anfang 2026 stehen de facto nur 27 Desiros zur Verfügung, von denen einzelne im Winter gegen umgestürzte Bäume fahren oder aus anderen Gründen repariert werden müssen. Somit wird das Fahren auf Verschleiß bei den ohnehin 2031 auszumusternden Triebwagen zum tragenden Prinzip der kommenden Jahre. Auch die Personale werden die Mehrbelastung zu spüren bekommen. Doch dies ist in den jeweiligen Ausschreibungen eingepreist.
Bild 4: Das war dem Triebwagen nicht anzusehen, aber anzuhören: Desiro 642 323 humpelte am Nachmittag des 26. Mai schon verspätet in Seitschen ein und entschwand nach einem Zwischenhalt mit offensichtlichen Motorproblemen langsam den Berg hochschleichend gen Demitz.
Schon jetzt hilft ab und an Triebwagen 642 330 als Verstärker aus. Dieser gehört, wie neun andere, ebenfalls zum Leasingpool von Alpha Trains und war zuvor bei der Städtebahn im Großraum Dresden eingesetzt worden. Die Länderbahn betreibt mit diesen Desiros seit 2019 mehrere Regionalbahnlinien in der Tschechischen Republik und tauscht umlaufmäßig bei Bedarf einzelne Triebwagen zwischen ihren Netzen aus. Denn auch die tschechischen Desiros werden nach und nach an die Standards ihrer Oberlausitzer Kollegen angepaßt.
Ende April waren etwa 1500 Menschen im Gebiet des Verkehrsverbundes ZVON von ihren regulären und oftmals wesentlich teureren Monatskarten auf das Deutschlandticket umgestiegen. Weitere achthundert Tickets wurden Neukundinnen zugerechnet, wobei es durchaus sein kann, daß Reisende, die nur ab und an mit dem Trilex fahren und dann beispielsweise mit dem Katzensprungticket unterwegs sind, nunmehr zum Abo greifen. Ob damit, wie der noch amtierende Geschäftsführer des ZVON Hans-Jürgen Pfeiffer vermutete, auch wirklich 800 sonst mit dem Auto pendelnde Neukunden gewonnen werden konnten, bezweifle ich. Es werden weniger sein. Aber vielleicht kommen im Laufe des Jahres dann weitere hinzu. Angekündigt wurde konkret für zwei Regionalbahnen, die nachmittags von Dresden nach Görlitz verkehren, ein weiterer Triebwagen. Wie sich zeigen sollte, fuhr stattdessen der Expreß, der Seitschen gegen 17:11 durcheilt, nur noch mit zwei statt der regulären drei Desiros.
Das Deutschlandticket hatte sich auch deswegen verspätet (pun intended), weil dessen Einführung die Verkehrsverbünde aufgrund geringerer Einnahmen viel Geld kostet; dem ZVON fehlen dadurch beispielsweise rund sechs Millionen Euro im Jahr. Zwar soll der Verlust aus Bundes- und Landesmitteln kompensiert werden, aber das wird wohl nicht reichen. Die darbenden Intel-Aktionäre stehen halt weiter vorne an der Futterkrippe der Herren Habeck und Lindner. Daraus folgt: entweder Abbestellen von Leistungen und/oder drastische Verteuerung des Tickets. So geht Verkehrswende ganz praktisch.
Allerdings ist mir die Rechnung nicht ganz klar. Wenn das Deutschlandticket beim ZVON zu einem Verlust von sechs Millionen Euro im Jahr führen soll und 1500 Frauen und Männer vom bisherigen Abomodell umgestiegen sind, dann sind dies 333 Euro pro Person und Monat. Und so teuer waren die bisherigen Monatskarten nun auch wieder nicht. Sind in die sechs Millionen dann auch die zusätzlichen Triebwagen eingepreist?
Wer sein oder ihr Fahrrad mitnimmt, gerät in eine von den Verbraucherzentralen bislang nicht monierte Tariffalle. Die Schlauberger der sächsischen Verkehrspolitik hatten Mitte der 1990er Jahre mehrere Verkehrsverbünde eingerichtet, die sich an den Schnittstellen nicht immer überlappen. Wer von Görlitz, Bautzen, Zittau oder Bischofswerda nach Radeberg oder Dresden fährt, kennt diese gezielt eingebaute Tücke. Zwischen Arnsdorf und Großharthau besteht zwischen den beiden Verbünden eine Lücke. Während frau und man problemlos vom ZVON-Gebiet in das benachbarte brandenburgische System überwechseln kann und, was auch einfach schön ist, auf dem Weg vom Görlitz nach Cottbus im Zug eine Tageskarte für Berlin und Brandenburg problemlos ohne das lästige Aussteigen und An-den-Automaten-Rennen erhalten kann, ist derlei in Sachsens Kleinstaaterei nicht möglich . Die Absurdität sticht erst recht ins Ausge, wenn wir bedenken, daß ein gewisser Michael Harig von der feudalen König-Kurt-Partei CDU bis 2022 nicht nur Vorsitzender des ZVON, sondern auch Verbandsvorsitzender des VVO gewesen ist. Jedenfalls: die Tariflücke zwingt Pendlerinnen und Pendler, die ihr Fahrrad mitnehmen wollen oder müssen, dazu, jeden Tag sechs Euro für ein paar wenige Kilometer zwischen Arnsdorf und Großharthau abzudrücken, zusätzlich zu den noch moderat teuren Fahrrad-Monatskarten des ZVON und des VVO. Diesen Nepp kommentierte Sandra Trebesius von ZVON laut Zeitungsbericht schönfärberisch mit den Worten: „das muß irgendwie anders gelöst werden“. Und was habt ihr Nasen eigentlich in den vergangenen Jahren gemacht – das Problem in feudaler Manier ausgesessen?
Die zusätzlich angehängten Triebwagen ließen anfangs noch auf sich warten. Als Pfingsten und damit der Ausflugsverkehr nahte, bestand Handlungsbedarf. In den Jahren zuvor gab es immer wieder vollkommen zurecht Klagen darüber, daß das starre Bestellkonzept von ZVON und VVO nicht flexibel an Witterung, Feiertage oder Festivitäten angepaßt wurde. Das war bei der Reichsbahn noch anders. Damals saßen als Entscheider nicht Menschen mit Auto-mindset an den Schalthebeln; und es gab ausreichend Personal, Lokomotiven und zusäzuliche Reisewagen. Doch der Verfall des Pseudosoziwlismus führte zum freien Fall der Reisekultur. Immerhin: Ab Juni, so hieß es, sollten vorerst auf fünfzehn ausgesuchten Verbindungen von und nach Görlitz, sowie weiteren von und nach Zittau weitere Triebwagen angehängt werden. Seitdem rollen in der Tat häufiger Zweiteiler durch Seitschen.
Und doch reicht auch das nicht immer aus. Anfang Juli waren die Sommerferien in Sicht und deshalb mußten die Schulen ganz geschwind ihre Zöglinge auf eine Ausflugsfahrt schicken. Natürlich alle im selben Zeitraum. In Dresden stand ein Festival an, zu dem sich Frankreichs autoritär regierender Landesfürst Emanuel Macron angesagt hatte. Er blieb dann lieber daheim, nachdem seine autoritäre Knüppelgarde einen Jungen erschossen hatte, weil er mit einem nicht ihm gehörenden Fahrzeug eine Spritztour hatte unternehmen wollen. So eine Exekution ohne Gerichtsverfahren kommt in der regelbasierten Wertedemokratie Frankreich des öfteren vor. Macrons Landsleute fanden das gar nicht lustig und begehrten auf. Das Festival in Dresden fand dennoch statt und die Züge waren gut gefüllt. So war es wenig verwunderlich, daß die potentiellen Fahrgästinnen und Fahrgäste des öfteren gebeten wurden, sich Alternativverbindungen auszudenken, weil der Zug als zu voll eingeschätzt wurde. Ausdenken trifft es gut, denn auf dem Land ist die Alternative dann schnell das Auto.
Dürfen wir uns dann wundern, wenn trotz der Abofallenmentalität dieses Deutschlandtickets jede und jeder Dritte selbiges nach schon einem Monat wieder kündigt? Im September sollen 4.425 Frauen und Männer beim ZVON solch ein Abo abgeschlossen haben mit Einnahmen von 216.825 Euro. Bei einem Drittel „Wechselwählerinnen“ würden demnach rund 1.500 nur bei passender Gelegenheit das Ricket kaufen; das allerdings mit wechselnder Besetzung jeden Monat. Dieses Verhalten wäre eine eigene Untersuchung wert.
Schwellen und Brücken
Ende Juni und Anfang Juli wurden zwischen Radeberg und Klotzsche Schwellen ausgetauscht. Aufgrund der dadurch notwendigen eingleisigen Verkehrsführung war es erforderlich, den Fahrplan so anzupassen, daß Züge aus Görlitz und Zittau in Arnsdorf einen längeren Zwangshalt verpaßt bekamen, um passend durch das Nadelöhr geführt zu werden. Zudem war auf die tagsüber verkürzte Linie S 8 nach Kamenz Rücksicht zu nehmen, die in Radeberg wendete. Wie aus der Erfahrung vergangener Jahre zu erwarten war, erwies sich der Baustellenfahrplan zu gewissen Zeiten als rein unverbindliche Annäherung an die bittere Realität. Anders ausgedrückt: die Planer planten so gut, daß an den drei entscheidenden Tagen 1. bis 3. Juli (Samstag bis Montag) die Triebwagen mit bis zu einer Dreiviertelstunde Verspätung fuhren. Natürlich war dadurch auch die Rückleistung nach der Wende an den Endpunkten betroffen. Nichtsdestotrotz erstaunen dann doch die in den Ansagen durchgegebenen vorgeschobenen Gründe. Mein Liebling dieses Wochendendes ist die Regionalbahn, die am Montagabend Seitschen um 20:09 Uhr hätte passieren soillen. Der angegebene Grund der Verspätung war die Verspätung eines vorausfahrenden Zuges. Wir sind uns sicher einig darin, daß im Verlauf des Wochenendes für diesen bewußten Triebwagen irgendwann einmal ein Vorgänger zu spät dran gewesen sein könnte. Nur an diesem bewußten Montagabend … fiel der vorausfahrende Zug einfach aus! Die vorgeschobenen Gründe mögen ab und an stimmen, doch in der Regel sind sie nichts als Reisendenverarsche. „Wir bitten um Entschuldigung.“ Da gibt es nichts zu entschuldigen. Plant besser, ihr Heinis!
Vom 8. Juli bis zum 10. September wurde die Zittauer Strecke zwischen Wilthen und Ebersbach gesperrt, um zwei Brücken zu erneuern. Dies führte zu einem ausgeklügelten Ersatzkonzept, bei dem eine private Güterzugstrecke zwischen Löbau und Ebersbach eingebunden wurde. Irgendwie ist es ja pfiffig, anstelle eines Schienenersatzverkehrs mit dem Rumpelbus die Expreßzüge nach Zittau umzuleiten. Die Fahrzeiten sind zwar länger, aber irgendwie noch zumutbar. Ansonsten pendeten zwischen Bischofswerda und Wilthen Bummelbahnen und zwischen Neukirch und Ebersbach lokale Busse. Klingt durchdacht und gut, aber wir wissen ja …
Bild 5: Ungewöhnliches Fahrtziel. Am Sonntagabend des 9. Juli brauste 642 326 als RE 2 nach Zittau.
Auf der Trilex-Webseite wurde das Ersatzkonzept ausführlich vorgestellt. Sicherlich irritierend muß es für die Fahrgästinnen und Fahrgäste aus dem Oberland sein, wenn montags bis freitags ein normaler, wenn auch verkürzter Expreß von Bischofswerda nach Wilthen fährt, am Wochenende aber der Ersatzbus genommen werden muß. Das hat betriebliche Gründe, mußte aber beachtet werden. Schmölln wurde gar nicht erst an den Schieneneratzverkehr angebunden, aber das war auch nicht nötig, weil sich am Bedarfshalt der Regionalbahn alle zwei Stunden nichts geändert hatte.
In Seitschen wie auch an den anderen Stationen verkündete die Laufschrift auf dem Informationsdisplay die „Bauarbeiten mit Bus-Ersatzverkehr“. Dies ist zwar im Prinzip richtig, aber konkret falsch. Seitschen wird von der Baustelle allenfalls dadurch berührt, daß die Fahrzeiten der Regionalbahnen um wenige Minuten verschoben wurden. Ein Bus-Ersatzverkehr fand jedoch zwischen Dresden und Görlitz nicht statt. Da hat wohl eine oder jemand ganz global gedacht und alle Stationen östlich von Dresden mit einem Einheitstext gefüttert. Ich könnte dies auch fake news nennen. Da hilft der laufschriftliche Verweis auf Fahrplanaushänge und das Internet auch nicht wirklich weiter. Es ist typisch in unserer hyperventilierenden Aufmerksamkeit erheischenden Medienwelt geworden, zunächst bombastisch etwas aufzublasen, und dann ist es nur ein laues und in diesem Fall auch fehlgeleitetes Lüftchen. Abgesehen davon enthalten die Angaben in den Aushängen und im Internet einen ganz anderen Fehler.
Normalerweise fahren (wenn auch eingeschränkt am Abend und am Wochenende) zwischen Bischofswerda und Görlitz Verstärkerzüge der Expreßlinie RE 1. Das pfiffige Betriebskonzept sah nunmehr vor, diese bis Löbau durch die umgeleiteten RE 2 zu ersetzen und den Umstieg auf die regulären Verstärker nach Görlitz von Bischofswerda nach Löbau zu verlegen. Um Laufleistungen einzusparen, die anderswo zusätzlich anfielen, wurden jedoch einzelne Verstärker zwischen Löbau und Görlitz gestrichen, auch tagsüber. Dies hatte direkte Auswirkungen auf die Fahrplanaushänge.
Selbige Fahrplanaushänge in Seitschen und die entsprechend auf eine A4-Seite zusammengequetschten PDFs im Internet trennen säuberlich zwischen den RE 1 und den RE 2. Eine Art Gesamtfahrplan für die Görlitzer Strecke war nicht vorgesehen, weil die RE 2 die Verstärker der RE 1 ersetzen. Wo nun aber der Pendel von Löbau nach Görlitz eingespart wurde, fiel der restliche nun als RE 2 deklarierte Verstärker in ein Datenloch und wurde nicht angezeigt. Das heißt, regulär verkehrende Triebwagen tauchten im Fahrplan nicht auf. Da hilft auch das Kleingedruckte nicht wirklich: „Weitere Verbindungen zwischen Dresden Hbf – Bautzen – Löbau mit RE 2 nach Zittau.“ Denn diesen Aushang gab es in Seitschen nicht, wozu auch? Kann frau oder man das nicht gleich richtig machen, anstatt den Reisenden zu sagen, der Fahrplan gilt, außer wenn Vollmond ist, und wann das ist, müßt ihr woanders erfragen. In Bautzen wiederum hingen beide Fahrpläne aus, doch die sechs eng ausgedruckten DIN A4 quer-Seiten waren nur mittels mitgebrachter Lupe zu erschließen. Das ist reine pro forma-Information, die den Fahrgästinnen und Fahrgästen nicht entgegenkommt. Da reden die Großkopferten allerorten von Kundenorientierung und orientieren sich dann doch lieber an der eigenen Bequemlichkeit.
Der Betrieb über die eingleisige Strecke zwischen Löbau und Ebersbach erforderte Pünktlichkeit. Es fuhr ein Lotse mit, der die nötige Streckenkunde besitzt. Dieser stieg in Ebersbach aus und in den meist schon wartenden Zug nach Löbau ein. Kam der Zug aus Dresden mal wieder zu spät – verspätete Bereitstellung des Zuges, Verzögerungen im Betriebsablauf, Warten auf eine zu reparierende Weiche, ihr wißt schon –, dann kommen ganz schnell zweistellige Verspätungen auf den in Ebersbach wartenden Zug zu. Am dritten Tag, einem Montag, wurde das neue Betriebskonzept erstmals auf die Probe gestellt, und das ging schief. Besonders schön für die Reisenden ist es dann, wenn Frau Blechelse und das laufschriftende Display stumm bleiben und gar nicht erst darüber informieren, daß der Zug seine vierzig Minuten Verspätung vor sich herschiebt.
Bild 6: Der Pendelzug aus Wilthen mit 642 322 erreicht am 26. Juli Bischofswerda.
Die Rrgionalbahn-Verstärker, die montags bis freitags zwischen Bischofswerda und Görlitz pendeln, wurden nunmehr nach Dresden durchgebunden. Zwischen Bischofswerda und Wilthen pendelte dann ein einfacher Triebwagen. Aus betrieblichen Gründen erhielt die durchgehende Verbindung zwei Zugnummern, nämlich die bisherige für den Verstärker und eine neue für die Verlängerung. Das kann uns als Reisenden eigentlich vollkommen egal sein. In Bischofswerda mußte bis Anfang September nicht mehr umgestiegen werden; und darauf kommt es an. Dies wurde auf der Trilex-Webseite zunächst auch richtig angezeigt.
Abbildung 7: In diesem Zug von Dresden nach Görlitz muß in Bischofswerda nicht umgestiegen werden. Nur die Zugnummer ändert sich. Die Angabe eines Gleiswechsels in Bischofswerda ist jedoch fehlerhaft. Screenshot vom 10. Juli.
Dann kam ein digitaler Schlauberger und befand, daß zwei Zugnummern auch zwei Züge bezeichnen und ließ sie nunmehr auch als getrennte Fahrten anzeigen. Den Reisenden wurde dadurch nicht geholfen, denn es fehlte nunmehr jeglicher Hinweis darauf, daß es sich immer noch um denselben Zug, nur eben mit zwei Zugnummern handelte.
Abbildung 8: Hier endet ein nach Dresden durchgehender Zug angeblich in Bischofswerda. Die „allgemeinen Hinweise“ geben hierüber keine Auskunft. Auf welchem Gleis der Zug in Bischofswerda einzutreffen gedenkt, unterschlägt die Software. Dieses in einem nicht barrierefreien Bahnhof nicht unwichtige Detail wurde aufgrund mangelnder Sorgfalt der Softwareentwickler gar nicht erst einprogrammiert. Screenshot vom 4. August.
Hier bin ich geneigt, von digitaler Inkompetenz zu sprechen.
Schneller als der Schall
Wer mit dem Trilex fährt, tut gut daran, vorab nachzuschauen, ob der Zug auch fährt oder wie verspätet er ist. Dabei ist es nicht einmal so, daß die Länderbahn besonders unzuverlässig wäre. Im ersten Halbjahr fielen bemerkenswert wenige Züge aus, auch wenn hier wohl das Personal besonders gefordert war. Dennoch lohnt ein Blick in die digitale Welt. Und zwar ein genauer.
Für jede Station läßt sich eine Art Bahnhofstafel anzeigen, mit denen über reale oder noch zu erwartende pünktliche oder nicht ganz so pünktliche Fahrten informiert wird. Meistens erhalten wir grau oder weiß unterlegte Abfahrten, seltener gelbe bei Verspätungen. Nun ist es jedoch so, daß ein genauerer Blick nicht schadet. Tippen oder klicken wir auf unseren Zug, so erhalten wir die komplette Fahrstrecke; und siehe da, er kommt doch tatsächlich später. Offensichtlich werden diese Daten aus zwei Quellen eingespeist, die sich nicht untereinander abgesprochen haben.
Abbildung 9: Am 23. Juni wurden beispielsweise für Bautzen um 11:46 Uhr alle Züge als pünktlich vermerkt.
Abbildung 10: Zu diesem Zeitpunkt wußte die Leitstelle jedoch schon, daß der erstgenannte Zug eine halbe Stunde später kommen würde.
Diese Veralberung des Publikums läßt sich steigern. Wenn nämlich ein Zug laut Fahrplan den Bahnhof wieder verlassen haben sollte, wird er auf der Bahnhofstafel nicht länger geführt. So kommt es immer mal wieder vor, daß ein nach Görlitz fahrender Zug Bautzen pünktlich durchfahren haben soll, obwohl er Seitschen noch gar nicht erreicht hat.
Abbildung 11: Am 10. Juli sollte ein verspäteter Zug in rekordverdächtigen 26 Minuten von Bischofswerda nach Görlitz brausen und dabei ebensoviele Minuten aufholen. Das geht schon ohne Zwischenhalt nicht; und elektrifizierte ICEs, die das bei einem Ausbau der Strecke auf 160 km/h vielleicht könnten, werden wir in Seitschen wohl nie sehen. Bei der Trilex-Auskunft wurden wir mit digitaler Phantasie versorgt. In der analogen Realität bummelte der Zug weiter und kam mit +40 in Seitschen an. Selbstverständlich wurden die am Bahnsteig Wartenden weder per Laufschrift noch per Ansage über diese Verspätung in Kenntnis gesetzt. Ich will das jetzt nicht Informationsdesaster nennen; es ist einfach der ganz normale Wahnsinn der Bahnreform.
Am 3. August wurde ein Regionalexpreß aus Zittau in Löbau mit 22 Minuten Verspätung geführt. Bis Radeberg hätte er davon zwanzig Minuten aufholen sollen. Dieser Hyperschall-super-duper-Expreß fuhr dann in Seitschen dennoch mit 21 Minuten Verspätung durch …
Als Unterphänomen dieses Informationsmanagements wurde am 26. Juli abends in Bischofswerda mitgeteilt, daß auf Gleis 2 die Regionalbahn nach Görlitz stehen soll. Nun ja. Sie fuhr gerade erst ein.
Ein Baum fällt um und andere Eskapaden
Am 1. August erhöhte auch der ZVON seine Fahrpreise, diesmal um durchschnittlich acht Prozent. Das Problem mit dem Fahrradticket hingegen wartet munter weiter auf seine sinnvolle Auflösung.
Am selben Tag verirrte sich nach tagelang immer wiederkehrenden ausgiebigen Regenfällen ein aufgeweichter Baum auf die Gleise irgendwo östlich von Seitschen. Der Zugverkehr wurde für etwa anderthalb Stunden unterbrochen. Mit einer Verspätung von 36 Minuten traf die Regionalbahn nach Görlitz ein, die eigentlich um 14:46 hätte halten sollen. Sie stand dann knapp eine Stunde am Bahnsteig, ehe es gegen 16:15 Uhr weiterging. Irgendwie ist das ja clever, die beiden Triebwagen soweit wie möglich vorzuziehen und dann in Seitschen warten zu lassen. Der Streckenblock danach war dadurch frei und in dem Moment, wenn die Strecke wieder befahrbar war, konnte gleich der nächste verspätet wartende Zug Bischofswerda verlassen. Weniger clever war das Infotainment. Die Reisenden im Zug wurden vom Trilex-Personal ja noch aktuell über die Situation benachrichtigt, auch wenn zunächst unklar blieb, wie lange die Sperrung andauern würde. Weshalb es einzelnde Mitfahrende vorzogen, sich abholen zu lassen anstatt im brummenden Zug zu warten und zu warten. Um halb vier wurden für Bautzen auf der Trilex-Webseite selbige Regionalbahn und der nachfolgende Expreß als schon durchgefahren geführt. Um 15:40 Uhr wurde in Seitschen die neun Minuten später zu erwartende nächste Regionalbahn als pünktlich angezeigt, was schon deswegen vollkommener Quatsch war, weil das Gleis noch auf unbestimmte Zeit belegt war. Soll heißen: wenn frau oder mann einmal wirklich eine realistische Auskunft aus dem allwissenden Internet ziehen oder ganz traditionell auf dem Bahnsteig erhalten will, sind sie aufgeschmissen.
Am 4. August verfügte die Deutsche Bahn zwischen Zittau und Ebersbach eine Langsamfahrstelle. Eine routinemäßig angesetzte Inspektion der Strecke sei aufgrund von fehlendem Personal ausgefallen; und da wurde die Strecke von einer Sekunde auf die andere für schnell fahrende Plastikschachteln als zu unsicher eingeschätzt. Das Resultat laut Länderbahn: 37 Zugausfälle an einem langen Wochenende. Irgendwann kam dann auch der Meßzug vorbei, prüfte und befand die Strecke als sicher. Wir könnten daraus lernen, Inspektionen nicht auf den letzten Drücker stattfinden zu lassen, aber die Deutsche Bahn als Infrastrukturbetreiber juckt die Nöte der stehen gelassenen Reisenden nicht. Denn Pünktlichkeit ist kein Kriterium für Bonuszahlungen der Chefetage. Das ist die Bahnreform.
Mitte August entdeckte die turnusmäßig vorbeischauende Bahninspektorin ein besonders häßliches Graffito in der Seitschener Bahnsteigunterführung und beseitigte es fachfraulich. Dies war der Bundespolizei eine Meldung wert. Das Sprühwerk war etwa zehn Quadratmeter groß und zeugte davon, was heutzutage in den Köpfen Heranwachsender so vorgeht. Die Ästhetik der postmodernen Infantilität ist nichts weiter als der Ausdruck von Verhältnissen, in denen Seen und Wälder, Seelen und Kultur dem absoluten Verwertungszwang geopfert werden. Das ist nicht auszuhalten, sucht sich ein Ventil und wird in der dunklen hohlen Gasse unter den Bahnsteigen ausgekotzt. Wie die Eliten, so das Fußvolk.
Am 29. August regnete es wieder einmal heftig, was einen oder mehrere Bäumchen am späten Vormittag zu einem Ausflug auf die Gleise zwischen Bischofswerda und Bautzen veranlaßte. War zunächst als Verspätungsgrund ein umgestürzter Baum genannt worden, wandelte sich diese Aussage bald darauf in „Gegenstände auf der Strecke“. Rund zwei Stunden lang fuhr gar nichts und anschließend kamen in jeder Richtung im Blockabstand drei Trilexe, um die Umlauf- und Dienstpläne so halbwegs wieder in den Griff zu bekommen. – Fast zeitgleich wurde bei Klotzsche eine Person von einem Zug erfaßt.
Für den Abend des 7. September setzte die Deutsche Bahn kurzfristig eine Software-Einspielung an einem elektronischen Stellwerk (wohl in Bischofswerda) an; alle Züge zwischen Dresden und Zittau bzw. Bautzen fielen aus. Erst im Verlauf des Tages trudelte der diesbezügliche Aushang in Seitschen ein und der war reichlich konfus. Es wurden zwar einzelne Schienenersatzbusse angezeigt. Aber welcher Zug der letzte sein sollte, der noch regulär verkehrt, erfuhren wir nicht. Der Aushang der Deutschen Bahn meinte, wir könnten in Dresden vom Hauptbahnhof aus alternativ mit der S-Bahn nach Klotzsche fahren, auch der regionalen Zeitung wurde dies so mitgeteilt. Die Realität sah anders aus, denn auch der Nordast der S2 war vom Totalausfall betroffen.
Damit sich die Reisenden nicht wieder an pünktliche und zuverlässige Fahrten gewöhnen, teilte der VVO am folgenden Vormittag in seiner Fahrplanauskunft mit, daß mehrere Triebwagen der RB 33 von Dresden nach Königsbrück ausfallen würden. Personalmangel. Am selben 8. September fuhr ich mit einem Trilex nach Dresden und staunte nicht schlecht über das Zeitmanagement der Länderbahn:
Abbildung 12: Display im Eingangsbereich des Trilex-Desiro 642 301. Selbstredend bekamen die Fahrgästinnen und Fahrgäste auf diesem Display in Dresden Anschlüsse angezeigt, die erst zwei Stunden später verkehren sollten. Eine Echtzeitinformation sieht anders aus, zumal Angaben zu Fahrzeiten in der Zukunft für Züge der Deutschen Bahn hochspekulativ sind. Vermutlich handelt es sich um eine Anwendung der Raumzeit aus der allgemeinen Relativitätstheorie.
Ende August kündete ein Aushang im Schaukasten am Seitschener Bahnsteig davon, daß in einzelnen Nächten im September Züge spätabends und frühmorgens zu geänderten Fahrzeiten verkehren sollten. Grund waren weitere Schwellenarbeiten zwischen Klotzsche und Radeberg. Das wäre nicht groß erwähnenswert, wenn nicht die Informationskomiker der Deutschen Bahn den veränderten Fahrplan farblich unterlegt hätten. Blaue Ziffern meinen laut Legende frühere, rote Ziffern spätere Abfahrtszeiten. Wir sollten uns nicht wundern, wenn die Farben der Ziffern nicht mit der Legende übereinstimmen und das genaue Gegenteil ausdrücken. Wie im Verlagswesen wird das Lektorat eingespart und dem verehrten Publikum überlassen herauszufinden, was denn nun gemeint ist.
Heute kriegt man aber auch gar kein brauchbares, zuverlässiges und kompetentes Personal mehr. Heutzutage nimmt man ChatGPT und halluziniert eine künstliche Intelligenz herbei.
Eingleisig ins Fahrplanchaos
Ganz kurzfristig informierte die Deutsche Bahn die in der Oberlausitz als Trilex verkehrende Länderbahn davon, daß ihre Schwellenaustauschaktion zwischen Klotzsche und Radeberg nunmehr ab dem 12. September auch tagsüber stattfinden werde. Der Streckenabschnitt war wiederum nur eingleisig befahrbar, die als S-Bahnen bezeichneten Regionalbummler nach Kamenz fielen wie zwei Monate zuvor zwischen Dresden und Radeberg gleich ganz aus. Laut Zeitungsbericht sollte der Baustellenfahrplan am Nachmittag des 11. September vorliegen . Also schaute ich am Abend auf der Trilex-Webseite nach. Das Ergebnis:
Abbildung 13: Screenshot von der Trilex-Webseite nach Aufruf von trilex.de am Abend des 11. September. Ein Aufruf der Trilex-Webseite von laenderbahn.com aus führte zum selben Ergebnis. Da fühlt frau und man sich doch richtig kompetent informiert.
Frau und mann müssen sich diesen geschriebenen Schwachsinn einmal richtig auf der Zunge zergehen lassen. Hier waren weder Suchmaschine mit veraltetem Index noch ein falsch gesetztes Lesezeichen verantwortlich, sondern das hauseigene IT-Personal. Die Aussage „Bitte klicken Sie hier, um auf die Startseite zu gelangen“, ist schon deswegen hochgradig grober Unfug, weil dies die Startseite ist. Nun ja, sein sollte. Und wenn ich auf hier klicke (geklickt habe), gelange ich wohin? Auf diese Fehlerseite. Da macht das Stöbern auf der neuen Webseite doch richtig Spaß, nicht wahr?
Die ziemlich lange Schwellenbaustelle erforderte besagte eingleisige Betriebsführung. Der Abstand zwischen Radeberg und Klotzsche beträgt rund zehn Kilometer und wird je nach Zuggattung laut Fahrplan in sechs bis acht Minuten befahren. Einen Baustellenfahrplan zu erstellen, der dieses Nadelöhr managt, ist demnach kein Hexenwerk. Theoretisch könnten hier vier Züge pro Richtung durchgeschleust werden, doch dafür müßten die Rahmenbedingungen wie etwa die Pünktlichkeit der Züge stimmen. Allerdings wurde das befahrbare Gleis (Richtung Dresden) mit einer Langsamfahrstelle von 70 km/h versehen, was zur Sicherung der Arbeiter auf dem Nachbargleis sicher nicht verkehrt war. Das reduziert die möglichen Trassen pro Stunde auf fünf, maximal sechs. Vorsichtshalber hatte man daher die als S-Bahn deklarierten Bummler nach Kamenz auf diesem Streckenabschnitt entfallen und durch Busse ersetzen lassen. Somit mußten nur noch zwei Regionalexpreßzüge und zwei Regionalbahnen pro Stunde und Richtung eingeplant werden. Dies war die Grundlage für einen Baustellenfahrplan, der in der veröffentlichten Fassung allerdings einige Fragen aufwarf.
Um es vorwegzunehmen: die Deutsche Bahn schaffte es mit somnambuler Gelassenheit, das Chaos einziehen zu lassen. Wir waren vorgewarnt. Ich habe in den vergangenen sieben Jahren keine einzige Baustelle erlebt, die eingleisig befahren werden mußte, bei der nicht stante pede Züge erheblich verspätet daherkamen oder gleich ausfallen mußten. Ob zwischen Löbau und Bautzen, zwischen Bautzen und Bischofswerda, zwischen Bischofswerda und Arnsdorf, zwischen Arnsdorf und Radeberg, zwischen Radeberg und Klotzsche oder zwischen Klotzsche und Dresden-Neustadt. Jedes Jahr ein anderer, aber im Grunde derselbe Quark. Ist das Unwille, Inkompetenz, Wurstigkeit oder nur eine „Verzögerung im Betriebsablauf“ in den Hirnen der hierfür Verantwortlichen? Ist der Sinn eines Fahrplans so heruntergewirtschaftet worden, daß er bestenfalls als unverbindliche Handlungsanweisung taugt?
Aufgrund der schlechten Erfahrungen mit dem Baustellenmanagement der Deutschen Bahn hatte die Länderbahn dringend angemahnt, daß die Trilex-Züge auf diesem Nadelöhr höchste Priorität erhalten. Schließlich mussen an den Streckenenden in Dresden. Görlitz und Zittau Wende- und Ruhezeiten eingehalten werden. Die Zittauer Strecke ist bis Bischofswerda eingleisig und die Deutsche Bahn hat in den vergangenen drei Jahrzehnten zur Optimierung ihres Betriebsablaufs Weichen herausgerissen und Kreuzungen beseitigt. Das heißt: hier schlägt jede Verspätung gnadenlos durch und sorgt für erhebliche Folgeverspätungen in der Gegenrichtung, die wiederum mit Staus und anderen Behinderungen in Radeberg enden.
Die Mahnung der Länderbahn war berechtigt. Nach Angaben von Katerina Hagen, Sprecherin des der italienischen Staatsbahn gehörenden Unternehmens, wurden Bahnen der S-Bahn-Linie 2 und der Bummelbahn nach Königsbrück bevorzugt durchgeleitet. Was nicht verwundert, denn diese Züge werden von einer anderen Unterabteilung des Bahnkonzerns betrieben. Wenn dann noch Güterzüge Vorrang vor den Trilexen mit mehreren hundert Reisenden erhalten, dann bricht jeder Fahrplan, jede Planung und der Betrieb komplett zusammen. Am 15. September kam beispielsweise eine Ludmilla mit einem Schwellenzug in Klotzsche an, um die dringend benötigte Ausrüstung in Radeberg zu deponieren. Es scheint der Deutschen Bahn vollkommen unmöglich zu sein, eine Baustelle fachgerecht zu managen. Dazu gehört auch, daß die Schwellen schon vorab bereitliegen und nicht just after time.
„Es wurde versehentlich von einer schichtweisen Sperrung in den Nachtzeiten statt einer durchgängigen Sperrung ausgegangen. Durch die Feinplanung des Fahrplans ist der bedauerliche Fehler erst fünf Tage vor Beginn der Baumaßnahme aufgefallen. Wir haben die Verkehrsunternehmen umgehend informiert.“
Zwei Monate zuvor waren schon im anderen Gleis Schwellen ausgetauscht worden und die Strecke war deshalb nur eingleisig befahrbar. Das Prozedere war also bekannt. Wir erleben hier unglaubliche Inkompetenz. Fachkräftemangel, kann man nichts machen. Was die Feinplanung des Fahrplans angeht, da komme ich noch darauf.
Dieser Ludmilla-gezogene Güterzug war nicht der einzige. Aber sein Erscheinen half an diesem Freitag dabei, daß der reguläre nachmittägliche dreiteilige Pendler-Trilex von Dresden nach Görlitz bei der vorangehenden Fahrt in die Landeshauptstadt in Arnsdorf wenden mußte und die Wartenden in Dresden nicht abholen konnte. Von den ansonstigen handelsüblichen Verspätungen und weiteren Zugausfällen ganz zu schweigen.
Am 18. September lichtete ich um 18.35 Uhr einen nach Dresden fahrenden Getreidezug ab. Dieser sollte gegen 19.15 Uhr Radeberg erreicht haben. Um 19.15 Uhr hätte laut Fahrplan die Regionalbahn nach Görlitz Klotzsche verlassen und rund zehn Minuten später Radeberg erreichen sollen, was offenkundig nicht geschah. Denn sie erschien zweiundzwanzig Minuten zu spät in Seitschen. Daher ist zu vermuten, daß ihr der Getreidezug vor die Nase gesetzt wurde.
Bild 14: Der Getreidezug in Seitschen am Abend des 18. September.
Die Prioritäten wären dann klar. Das Geschäftemachen mit dem Getreideversand ins Ausland hat Vorrang vor Pendlerinnen und Pendlern, die nach einem langen Arbeitstag nach Hause wollen.
So etwas erfreut die gemeine Fahrgästin und den geneigten Fahrgast ungemein. Wenn dann noch auf dem von der Deutschen Bahn bespielten Informationsdisplay in Seitschen auf den zeitgleichen „Tag der Schiene“ verwiesen wird mit der Aufforderung „Feiern Sie mit!“, dann klingt das eher wie Hohn und Spott.
Am 16. September, einem Samstag, nutzte ich die Gelegenheit, mir die Baustelle und ihre Auswirkungen selbst anzuschauen. Die Hinfahrt am Mittag geschah in einem Einteiler, der schon in Seitschen zur Stehparty in den Gängen einlud. Nach und nach kamen dann auch die Sardinen, die es spätestens in Radeberg richtig kuschelig fanden. Das war auch nicht verwunderlich, denn die S-Bahn-Linie 8 fuhr an diesem Tag nur von Kamenz nach Arnsdorf. Zwar hatte die Deutsche Bahn einen Schienenersatzverkehr per Bus zwischen Arnsdorf und Klotzsche eingeplant. Aber mal ehrlich. Welche Fahrgästin nimmt den Zug von Kamenz nach Arnsdorf, wartet dort brav, bis ein Ersatzbus erscheint, tuckelt mit ihrm über die Dörfer nach Klotzsche, um dann auf die Mini-S-Bahn 8 zum Hauptbahnhof zu warten? Wo es doch viel einfacher ist, den nächsten Trilex zu besteigen, um ohne Ruckelei und Anschlußverspätung in einem Zug nach Dresden zu gelangen. Die Fahrgästin interessiert sich nicht für jeden Quatsch der Bahnreform, daß jedes Unternehmen im Havariefall einen eigenen Ersatzverkehr organisiert. In einem einheitlichen Verkehrskonzept würde dann ja auch kein Ersatzbus fahren, sondern der Triebzug nach Dresden einfach verstärkt werden. Theoretisch sollten sogar die roten Desiros der Deutschen Bahn mit den gelbumrandeten Desiros der Länderbahn in Arnsdorf kuppelbar sein. Sie könnten dann ganz gemütlich auf einer Trasse, verstärkt und ohne Sardinen das Nadelöhr durchfahren. Das hätte der VVO, weil es in seinem Verkehrsverbund liegt, einfach organisieren können. Aber der heilige Wettbewerb verbietet das, so daß unnötigerweise Busse Luft transportieren und einteilige Desiros Intimität erzeugen. Was für ein Mumpitz!
Zu meiner abendlichen Rückfahrt trottete ich aus reiner Gewohnheit in Klotzsche auf den Mittelbahnsteig für die Züge aus Dresden heraus. Eher zufällig schaute ich auf dem Hausbahnsteig auf die Zuganzeige. Dort wurde die Regionalbahn um 19.15 Uhr nach Görlitz angezeigt. Oha, denke ich, dann wird der Zug dort fahren und wandere zurück. Dort angekommen, zeigte nunmehr das Display den Trilex um 19.15 Uhr zum Hauptbahnhof an. Interessant. Zwei Züge sollen zur selben Zeit in entgegen gesetzter Richtung am selben Bahnsteig einfahren. Knallt das dann nicht? Selbstverständlich fand sich an Bahnsteig 2 kein Hinwies darauf, daß die Trilexe nur an Gleis 1 verkehren.
Tatsächlich wurde für den Zeitraum der Bauarbeiten sowohl in Klotzsche als auch in Radeberg der Zugverkehr auf ein- und demselben Gleis abgehandelt. Das sorgt automatisch dafür, daß nicht etwa der eine Zug in den eingleisigen Abschnitt einfahren kann, sobald der Gegenzug eingetrudelt ist. Statt dessen muß der aus dem jeweiligen zweigleisigen Abschnitt kommende Zug noch vor Radeberg oder Klotzsche eine Zwangspause am Einfahrtssignal einlegen, ehe er am Bahnsteig anhalten darf. Das vermindert den möglichen Durchsatz des eingleisigen Abschnitts erheblich. Kein Wunder, daß die Länderbahn ihre Reisenden auf ihrer Webseite warnen mußte, daß mit zehn oder zwanzig Minuten Verspätung zu rechnen sei. Vermutlich wollte sich die Deutsche Bahn das zweite Bahnsteiggleis freihalten, um ab und an einen Baustellenzug durchleiten zu können. Das sah dann als Fahrplan so aus:
Abbildung 15: Screenshot von der Trilex-Webseite.
Wir erkennen beispielsweise, daß der geflügelte Expreßzug nach Zgorzelec und Liberec um 15.41 Uhr abfahren soll, bevor der Gegenzug nach Dresden vier Minuten später angekommen ist. Sehr schön ist auch die Angabe zur Regionalbahn nach Görlitz und Zittau um 16.09 Uhr. Dieser zweiteilige Zug wird erst in Bischofswerda geflügelt, in Klotzsche aber auf wundersame Weise gleichzeitig auf zwei Bahnsteigen abgefertigt. Um 17.15 Uhr kommt es zur Kollision am selben Bahnsteig. Bei so viel Wirrniss wundert mich das Verspätungschaos erst recht nicht. Die Fahrgästinnen und Fahrgäste dürfen hingegen mit diesen unverbindlichen Handlungsanleitungen irgendwie klarkommen.
Und mit vollen Zügen. Denn auch dieser minutenlang vor dem Einfahrtssignal in Klotzsche herumbrummelnde Trilex bestand aus einem einzigen und wahrlich gut gefüllten Desiro.
Die Deutsche Bahn gelobte hinsichtlich ihres Baustellenmanagements Besserung. Mit Digitalisierung und besseren IT-Verfahren. Wie wäre es mit mehr Hirn? Denn sonst kommt die nächste Baustelle mit dem altbewährten Chaos ganz bestimmt wieder. Versprochen.
Sinnloses Geplapper
Am Abend des 21. September stand ein Paar vor dem Fahrplanaushang in Seitschen. Sie sprach mich an, ob ein bestimmter Frühzug denn fahren würde. In der DB-App sei er nicht aufgeführt. Ich half ihr. Ich bin ja die unbezahlte Hilfskraft einer Bahnidiotie.
Am nächsten Morgen hörte ich die Blechelse andauernd irgendwelche Ansagen machen. Warum sie erzählte, daß ausgerechnet heute die Regionalbahn auf Gleis 2 halten würde, wo sie immer hält, ergab keinen Sinn. Bis ich auf Trilex-Webseite schaute.
„Sehr geehrte Reisende, aufgrund eines fehlerhaften Datensatzes fehlen auf www.bahn.de aktuell die Fahrten im trilex-Netz im Zeitraum 23.09.23-29.09.23. Auf unserer Homepage sind die Daten aktuell.
Aktuell können wir die Datenlieferung nur für den aktuellen Tag sicherstellen, zusätzlich werden gegen 14:00 Uhr die Fahrplandaten für den Folgetag auf www.bahn.de veröffentlicht.
Ab dem 27.09.23 sind die Daten auf www.bahn.de wieder korrigiert.
Grundsätzlich verkehrt der trilex gemäß Regelfahrplan, außer die Einschränkungen der Fahrplan-Information 43442 im Zeitraum 22.09.23–27.09.23.
Wir bitten um Entschuldigung.“
Das von mir immer wieder aufgrund seiner gedanklichen Inkontinenz kritisierte Informationsmanagement reagiert und läuft zur Höchstform auf. Es läßt die Blechelse ungehemmt plappern. Zunächst kündigt sie einen Zug als „Sonderzug“ mit irgendeiner fünfstelligen Fahrtnummer an, von der keine und niemand etwas hat. Inklusive aller Halte Richtung Dresden oder Görlitz. Damit das auch der letzte Trottel versteht, erhebt sie nach kurzer Pause wieder die Stimme und kündigt nun den TL RB 60 an, „heute“ wahlweise auf Gleis 1 oder 2. Mit Stille wäre derselbe Informationsgehalt auch abgetan, denn es handelt sich ja um den Regelfahrplan. Gibt es eigentlich in den Betriebszentralen auch denkende Wesen?
Nach zwei Tagen wurde dieses Geplapper ein wenig eingedampft. Nunmehr erfuhren wir von einem „Sonderzug TL RB 60 nach Görlitz“ mit der Angabe aller zu durchfahrenden Dörfer, der immer noch „heute auf Gleis 2“ hält. Die Sonderzüge auf Gleis 1 hingegen wurden verschwiegen, und wenn dann am Montagnachmittag so ein Sonderzug eine Viertelstunde Verspätung hatte, dann wurde auch dies nicht angesagt. Fast so, als hätte frau oder man den Plapperstrang am Richtungsgleis nach Dresden komplett stumm geschaltet.
Warum man die Daten nunmehr in homöopathischen Dosen verteilt, anstatt den korrigierten Datenschatz in einem Rutsch abzuliefern, will ich lieber nicht wissen. Softwarefehler. Kann man nichts machen.
Vegetationspflege
Auch recht kurzfristig lud die Deutsche Bahn für Montag, den 9. Oktober, zur eingleisigen Vegetationspflege zwischen Bautzen und Bischofswerda ein. Sechs Tage lang wollte sie zwischen 7 und 17 Uhr Gräser, Büsche und kleine Bäumchen am Streckenrand zurückschneiden. Dieses löbliche Tun erforderte einen angepaßten Fahrplan, der sogar rechtzeitig im Seitschener Schaukasten aushing. Was die Deutsche Bahn den Reisenden nicht mitteilte, war das Gleis, das gesperrt wurde. Und so kam es, wie es kommen mußte.
Der am Montag für 12.01 Uhr Richtung Dresden angesetzte Bummler hatte eine Viertelstunde Verspätung. Dies wurde den drei wartenden Personen nicht mitgeteilt. Sie wurden dann von einem am anderen Bahnsteig anhaltenden Zug überrascht. Und was machen Fahrgäste, die übel kalt erwischt werden? Unsinn. Lebensgefährlichen Unsinn. Sie hüpften auf das Gleisbett, liefen vor dem Zug auf den anderen Bahnsteig, um nicht eine weitere Stunde bei strömendem Regen und Kälte sinnlos ohne Auskunft auf den nächsten Zug warten zu müssen. Das wäre alles zu vermeiden gewesen, wenn die Verantwortlichen ihre Hausaufgaben gemacht und a) einen Zettel ausgehängt hätten, auf welchem das gesperrte Gleis benannt wurde, und b) ihrer Blechelse eine entsprechende Ansage entlockt hätten. Erst plappert sie sinnloses Zeug und dann, wenn sie gebraucht wird, hält sie die Klappe.
Nachdem ich mir diese Gleislatscherei angeschaut hatte, hatte ich drei Tage nichts Besseres zu tun, als jede Stunde den wartenden Fahrgästinnen und Fahrgästen zu verklickern, daß ihr Zug am anderen Bahnsteig halten werde. Sie glaubten mir nicht; einer zückte sein Handy, zeigte darauf und sagte: „in der App steht auf Gleis 1“. Die Kinder der Digitalisierung schauen gläubig auf ihr Wischgerät. Und wenn da steht, der Zug hält auf Gleis 1, dann stehen sie da und schauen dumm, wenn der Zug auf dem anderen Gleis an ihnen vorbeifährt. Es wird ja von den modernen Reisenden erwartet, daß sie sich im Internet informieren. So entlasten sich die Dienstleister elegant von ihrer Bringschuld. Blöd nur, wenn das Internet lügt. Fake news.
Im Laufe der folgenden Tage war der Blechelse dann ab und an doch ein Hinweis zu entlocken. Daß sie von Verspätungen erst dann informierte, wenn der Zug nach einer Viertelstunde um die Ecke kam, geschenkt. Daß laut Internet-Auskunft behauptet wird, der Triebwagen halte in Seitschen auf Gleis 1, in Demitz aber auf Gleis 2, was technisch unmöglich ist, geschenkt. Daß am ersten Tag die meisten Züge tagsüber mit den üblichen Baustellenverspätungen von bis zu 20 Minuten kamen, war schon auf der Trilex-Webseite angedroht worden. Daß am Mittwoch Mittag zusätzlich noch ein Getreidezug reingequetscht wurde, führte stundenlang zu Nachfolgeverspätungen. Daß laut derselben Webseite ein Zug Demitz (Richtung Dresden) schon verlassen und somit nicht mehr angezeigt wurde, obwohl er Seitschen noch gar nicht erreicht hatte, ist der übliche Quark. Undsoweiter.
Bild 16: Mit Hingabe bearbeitete dieses Fahrzeug am 10. Oktober den Seitenstreifen am Seitschener Bahnhof. Daneben Trilex 642 323 auf dem Weg nach Bischofswerda.
An Dienstag erschien ein Zettel im Schaukasten, daß von Donnerstag bis Samstag alle Züge tagsüber nur auf Gleis 1 verkehren würden. Was bis dahin geschehen solle, wurde weiterhin nicht per Aushang mitgeteilt. Immerhin war Frau Blechelse mitteilsamer, wenn auch erst kurz vor der verspäteten Einfahrt des Zuges. Allerdings wurde die Mähmaschine weder am Donnerstag. noch am Freitag und schon gar nicht am Samstag gesehen. Vielleicht war das Gerät defekt. Vielleicht gab es auch einfach nur Personalmangel. Kann man nichts machen.
An 15. Oktober, dem nachfolgenden Sonntag, wurde der abendliche Bummler um 19.49 Uhr nach Görlitz mit Verspätung angesagt. Auf der Trilex-Webseite hieß es hierzu: „Hohes Fahrgastaufkommen verlängert Ein- und Ausstieg.“ Und weiter: „Dresden-Klotzsche – Görlitz: Information. Überbesetzung ohne Kulanzleistungen.“ Das ist der Zug, der ohnehin abends nur mit einem Triebwagen fährt. Der ist ab Dresden-Neustadt regelmäßig überfüllt. Das wäre sicherlich interessant, wie der Betreiber hier seine mangelnde Kulanz begründen will.
Aufgebessert
Im September und Oktober veranlaßte die Deutsche Bahn eine verbesserte Bedeckung der Bahnsteigüberdachung, einhergehend mit einem neuen Schutzanstrich des Holzgebälks und der leicht angerosteten Stützsäulen. Zudem wurden beidseits der Gleise die Schutzgeländer erneuert und dort, wo es notwendig war, die Stützmauer an der Unterführung neu verfugt.
Bild 17: Während das Dach schon fertig ist, warten die Säulen noch auf den anthrazitfarbenen Deckanstrich.
Bild 18: Das Geländer oberhalb der Unterführung.
Wer auf dem Hausbahnsteig entlang geht, kommt nicht umhin, den schlechten Zustand des Kopfsteinpflasters zu bemerken. Dies ist jedoch nicht einfach mit einer Neubepflasterung zu beheben. Wenn schon, dann muß auch der Untergrund untersucht und wohl neu aufgebaut werden. Und das kostet nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Ich gehe davon aus, daß dieses Unterfangen erst dann angegangen wird, wenn entsprechende Fördermittel entweder im Zusammenhang mit der Elektrifizierung vorhanden sind, oder aber, sollte ein S-Bahn-mäßiger Ausbau der Strecke bevorstehen. Ersteres steht in den Sternen und zweiteres wird zwar gerne einmal durch die Presse geschleift, das war's dann aber auch. Gehen wir also einmal davon aus, daß die holprigen Steine noch mindestens weitere zehn Jahre durchhalten müssen.
Zum Jahresausklang
Im Oktober fielen an mindestens zwei Tagen einzelne Fahrten aus, im November geschah dies schon an mindestens acht Tagen. Da mögen Viren aller Art eine Rolle spielen, die in der Herbst- und Wintersaison so auftreten und die dünne Personaldecke weiter ausdünnen. So ärgerlich dies für die Reisenden ist, so bemerkenswert gering war die Ausfallquote in der Oberlausitz. Andernorts in dieser mit Steuergeschenken, Schuldenbremsen und Dumpinglöhnen kaputtgesparten Republik werden gleich ganze Linien ausgedünnt oder gar nicht mehr bedient. Die Verkehrswende findet im halluzinogenen Raum statt, die Realität ist eine andere.
Wir müssen gar nicht weit schauen. Die Deutsche Bahn AG betreibt im Dresdener Raum mehrere S-Bahnlinien und Vorortstrecken. Sie hatte im Dezember 2021 die Strecken der im harten Wettbewerb insolvent gewordenen Städtebahn übernommen und hatte gehofft, daß das Personal gleich mit übernommen werden könne. Dieses suchte sich lieber einen anderen Arbeitgeber mit besseren Konditionen. Der Fehlbestand an Lokführerinnen und Zugbegleitern wuchs derart eklatant an, daß reihenweise S- und andere Bahnen ausfielen. Die Folge: Notfahrpläne, die zu Regelfahrplänen mutierten. Die Strecke nach Kamenz war, weil im Berufsverkehr halbstündlich gefahren werden sollte, zur S-Bahn hochgestuft worden, auch wenn die gleichen Triebwagen vor sich hindieselten. Ausfälle wurden zur Regel und die Züge, die den Takt verdichten sollten, entfielen. Mit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2023 wurde eine innovative Lösung gefunden. Die Taktverdichter werden (nachmittags) als Expreßbusse zwischen Kamenz und Radeberg angeboten. Die Expreßbusse benötigen für die Strecke, obwohl sie zwei Stationen auslassen, wesentlicher länger als der S-Bahn-Bummler. Die Weiterfahrt nach Dresden geschieht dann mit den ab Radeberg ohnehin schon übervollen Trilex-Triebwagen. Heilige Sardine!
Andernorts in dieser Republik gibt es nicht einmal diesen absurden Schienenersatzverkehr.
Wenn dann auch noch ein Stellwerk nicht besetzt ist, wird es ganz duster. Thüringen kann nicht nur ein Lied, sondern ganze Operetten davon singen. Am 23. November traf es auch Ostsachsen. Am späteren Abend war das Stellwerk in Görlitz nicht besetzt. Die Züge von dort nach Görlitz fielen bis zum Morgen darauf komplett aus. Dabei waren, diesmal bei der Länderbahn, schon am Nachmittag mehrere Züge nicht gefahren. Als besonderes Schmankerl kam hinzu, daß sich kurz vor Abschalten des Stellwerks noch ein Bäumchen auf die Gleise verirrte und dadurch der allerletzte Zug mit geradezu branchenüblicher Verspätung dahinsiechte. Schienenersatzverkehr gab es keinen, der dürfte aber auch abends nicht mehr zu organisieren gewesen sein. Auch wenn Görlitz dicht war, so hätte man doch wohl von Dresden aus einen eingeschränkten Verkehr bis Löbau oder Reichenbach durchführen können, oder nicht?
Zum 10. Dezember trat der neue Jahresfahrplan in Kraft. Im wesentlichen fuhren nunmehr die Bummler und Expresse weiterhin zu den üblichen Fahrzeiten, wenn auch mit einzelnen Minutenverschiebungen.
Was ein Taktfahrplan ist, scheint in Ostsachsen nicht bekannt zu sein. Der Witz eines solchen Fahrplans ist, daß sich der gestreßte Fahrgast und die lebenskluge Fahrgästin nicht damit herumplagen müssen, die Abfahrtszeit jeder Stunde einzeln auswendig lernen oder nachschlagen zu müssen. Wenn ein Zug zur Minute 06 losfährt, dann tut er das jede Stunde und nicht mal um 05 oder mal um 09. Mir ist klar, daß die Länderbahn mit diesen abweichenden Zeiten ihre Personalwechsel und vielleicht auch ihre Flügelei in Bischofswerda kompensiert. Da die Züge jedoch ohnehin gerne einige Minuten später als gedacht kommen, spräche nichts dagegen, den Takt auch sauber zu takten. Da fällt eine Verspätung doch ohnehin nicht auf.
Ab Mitte Dezember wurden weitere Züge geflügelt bzw. zusammengeführt, was das Umsteigen in Bischofswerda nicht mehr nötig macht. Dadurch fahren einzelne Züge weiter nach Dresden mit bis zu drei Triebwagen. Ich bin mal gespannt, wie lange die Desiros die längeren Laufzeiten mitmachen. Am zweiten Tag des neuen Fahrplans zeigte sich gleich ein Nachteil dieses Konzepts. Zuvor hielt bei Bedarf ein Triebwagen um 13:06 Uhr in Seitschen und wartete danach in Bischofswerda anderthalb Stunden auf seine Rückfahrt nach Görlitz. Nunmehr kommt die Rückleistung als Flügelzug von Dresden. Beziehungsweise, sie sollte kommen, fiel aber aus. Und da wohl in Bischofwerda weder ein Triebwagen noch ein Führer desselben auszutreiben waren, fielen beide Flügel aus.
Abbildung 19: Ich liebe diesen Quatsch. Der letzte Zug nach Dresden vereint die beiden Flügel von Görlitz und Zittau in Bischofswerda. In der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember scheint es ein Problem mit dem Kuppeln gegeben zu haben. Der eine Teil ist pünktlich, während der zweite Teil hinterherhechelt. Noch so ein Screenshot von der Trilex-Webseite. Ich suche nicht einmal gezielt danach. So etwas fällt mir einfach immer wieder ungefragt in die Hände.
Als „zusätzlichen Zug“ pries die Länderbahn auf ihrer Webseite den morgendlichen 76538 an. Diese Information muß die geneigte Fahrgästin erst einmal verstehen lernen, denn wer von unseren Pendlern kennt die Zugnummern auswendig? Da hat doch wieder einmal jemand nur innerhalb seines eigenen geistigen Betriebshorizonts gedacht. Wie sich herausstellte, war die morgendliche Taktlücke um 9 Uhr gemeint; und dieser Zug ist einer derjenigen, bei denen das Umsteigen nach Dresden in Bischofswerda entfällt. Was diese Webseite uns nicht erzählt, weil dies keine Erfolgsgeschichte ist: der benötigte Triebwagen mitsamt Personal wurde um zwei Stunden vorgezogen und die Taktlücke entsteht nunmehr in Seitschen um 11 Uhr. Vielleicht ist das aufgrund des Andrangs zur früheren Stunde auch sinnvoll. Aber vermutlich steckt dahinter nur schnöde Betriebswirtschaft: Optimierung der Wagen- und Personalumläufe.
Kurios ist, daß auf der Zittauer Strecke nunmehr alle Expreßzüge in Sohland anhalten (sollen), dies aber ein Bedarfshalt ist wie bei den Regionalbahnen auch. Immerhin halten dadurch in Sohland auf der ausgedünnten eingleisigen Strecke nach Zittau die Züge theoretisch jede Stunde. Ein begrüßenswerter Fortschritt.
Doch der ZVON hat schon angedroht, daß womöglich im neuen Jahr Züge nicht aufgrund von Personalmangel, sondern aufgrund von Geldmangel gestrichen werden. Die sächsische Landesregierung, die gerne und überall irgendwelche verschrobenen Forschungs- und Innovationszentren mit Fördermitteln hinpflanzen will, bei denen der Bedarf und Nutzen für die Bewohnerinnen und Bewohner der blühenden Landschaften doch sehr zweifelhaft ist, hat sich auf das Geld gesetzt, daß der Bund als Regionalisierungsmittel an die Länder verteilt hat. Hierzu gehören auch zugesagte zusätzliche Mittel für erhöhte Energiekosten. Der Haushalt des ZVON für 2024 hat daher einen Fehlbetrag von 2,4 Millionen Euro, was weiteren viertausend verkauften Deutschlandtickets entspräche. Welches drängende Haushaltsloch der Freistaat mit den Geldern stopft, die eigentlich für den ÖPNV vorgesehen sind, ist nicht bekannt.
Die Lok fährt
Im November und Dezember traten die Kolleginnen und Kollegen der GdL bei der Deutschen Bahn zweimal in einen Warnstreik. Nicht nur mehr Lohn, sondern auch mehr Freizeit als Ausgleich für Schichtdienst rund um die Uhr war das Ziel. Natürlich kamen alle diejenigen aus ihren Löchern, die Streiks für ein besseres Leben als eine Zumutung für darbende Manager, Aktionäre und Bildzeitungen begreifen.
Jan Böhmermann hingegen hat dem nächstes Jahr aus dem Amt scheidenden „Lokführerkleinstgewerkschaftscheffunktionär“ ein bleibendes musikalisches Denkmal gesetzt:
„Auf! Auf! Kämpfe für alle, dann kämpfst Du für Dich!
Mach's wie Claus Weselsky und kämpfe nie nicht!
Du stellst die Weichen! Du gibst das Signal!
Und wie Deutschland das findet, ist echt scheißegal!“
Die GdL stand nicht nur in Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn, sondern auch mit weiteren rund 65 Eisenbahnunternehmen. So auch mit der zur italienischen Netinera gehörenden Länderbahn, die in Ostsachsen als Trilex auftritt. Im Gegensatz zur Deutschen Bahn erwies sich Netinera als kooperativ. Die Verhandlungen werden nicht einfach gewesen sein und sie scheinen länger als geplant gedauert zu haben. Ein wesentliches Ergebnis ist der stufenweise Einstieg in die 35-Stunden-Woche für Schichtarbeiterinnen und -arbeiter, der 2028 abgeschlossen sein soll.
„Die wesentlichen Ergebnisse sind die Absenkung der Arbeitszeit auf eine 35-Stunden-Woche für Schichtarbeiter, die Einführung einer grundsätzlichen Fünf-Schichten-Woche und eine Entgelterhöhung, die nicht nur die Inflation ausgleicht, sondern auch die Attraktivität der Eisenbahnerberufe aufwertet. Zusätzlich wurden unter anderem Verbesserungen bei der betrieblichen Altersvorsorge, den Zulagen und den Vergütungen für Auszubildende vereinbart.“
Warnstreiks waren nicht notwendig. Manche Unternehmen lassen sich klugerweise in ein aussichtsloses Unterfangen gar nicht erst ein. Entsprechend soft kommunizierte und kommentierte die GdL die Verhandlungen mit Netinera. Wohingegen die boniverwöhnte Mangementriege im Berliner Elfenbeintum wohl nur deutliche Ansagen versteht.
Während auch im Dezember gerne mal ein Zug ausfiel, hatte die Länderbahn genügend Personal übrig, um am 10. und am 17. Dezember eine Sause von Görlitz und Zittau zum Weihnachtsmarkt in Prag durchzuführen.
Mitte Dezember behelligte Trilex seine Facebook-Gefolgschaft mit Weihnachtsgedöns:
„Der Countdown ist eingeleutet: In 10 Tagen ist Weihnachten. Am Bahnhof Dresden-Neustadt singt der Chor musica74 Weihnachtslieder für euch. Habt ihr sie auch gehört?“
Kommentar eines Lesers: „Nein die trilex 642er sind zu laut“.
Laut sind auch die Getreidezüge, die durch Seitschen kommen. Wer nahe genug an den Gleisen wohnt, erlebt jedesmal Vibrationen, die einem kleineren Erdbeben ähneln. Am 19. Dezember durchfuhr ein solcher Getreidezug die Stille des beginnenden Abends gegen 16:35 Uhr. Auf dem weiteren Weg scheint er vor noch vor Demitz liegen geblieben zu sein. Danach brach das Chaos aus. Da das Richtungsgleis Dresden zwischen Bautzen und Bischofswerda gesperrt war, mußte der komplette Verkehr auf dem anderen Gleis abgefertigt werden. Dies führte zu Verspätungen von bis zu 62 Minuten. Einige Züge wurden gekürzt oder fielen komplett aus. Die Länderbahn versuchte wohl so gut wie möglich durchzukommen, aber scheiterte an der Infrastruktur. Die Verspätungen strahlten aufgrund von Wagenumläufen auch auf die Zittauer Strecke aus. Das Informationsmanagement war von allenfalls mittlerer Güte. Die Pünktlichkeitsangaben auf der Trilex-Webseite waren mehr geraten als zutreffend, meist waren die Verspätungen nicht eingepflegt. Immerhin war bei den betroffenen Zügen generell in der Kopfzeile vermerkt, daß aufgrund einer Reparatur an einem Zug mit Verspätungen von 30 bis 60 Minuten zu rechnen war. Wer sich im Internet informierte, bekam so wenigstens eine grobe und nicht einmal falsche Einschätzung der Situation. Hingegen war die gesprochene und angezeigte Information auf den Seitschener Bahnsteigen – und sicher nicht nur dort – grottig schlecht. So wurde der Zug nach Görlitz, ab 17:48, mit 5 Minuten Verspätung angesagt, kam aber erst eine Stunde später. Für den Zug ab 18:09 nach Dresden gab es gleich gar keine Ansage und der einsame Wartende durfte sich im strömenden Regen selbst behelfen. Wer nicht zufällig ein Smartphone mit Flatrate besaß, wäre aufgeschmissen gewesen. Nach vier Stunden fuhren diee Züge wieder auf beiden Gleisen und der Betrieb normalisierte sich.
Nebenbei: der Versand von Getreide ist ein lohnendes und boomendes Geschäft. Ob dieses Getreide nur aus der Oberlausitz stammt oder über die polnische oder tschechische Grenze gekommen ist, kann ich nicht sagen. 2019 jedenfalls waren es nur etwa 40 derartiger Züge aus Niedercunnersdorf. 2020 war die Anlage in Reichenbach verfügbar und das Aufkommen verdoppelte sich auf rund 90 Züge. 2021 waren es schon etwa 100, 2022 etwa 130, und am 27. Dezember durchfuhr Seitschen der 141. Getreidezug dieses Jahres, der zum Abfüllen nach Niedercunnersdorf gebracht wurde. Aber glaubt nur nicht, schon gar nicht in der mit besinnlichen Weihnachtsliedern triefenden Zeit, daß dieses Getreide an die hungernden Menschen im globalen Süden gebracht wird. Nur wer zahlen kann, darf auch essen, die anderen dürfen verrecken. Das sind die wahren westlichen Werte des christlichen Abendlandes.
Ein Trilex auf Abwegen
Als am Abend des 20. Dezember sich ein oder mehrere Bäumchen auf die Gleise verirrten, geriet auch das Infotainment der Länderbahn wenig überraschend ein wenig durcheinander. Fast schon normal zu nennen ist es, wenn der Regionalexpreß nach Görlitz, der in Löbau um 19:30 Uhr losfahren sollte, dort noch fünf Minuten später als pünktlich geführt wurde. Von der Bautzener Online-Bahnhofstafel war er hingegen schon verschwunden, obwohl er Seitschen noch gar nicht erreicht hatte. Hier kam er erst um 20:12 Uhr durch. Das Internet ist eben keine zuverlässige Quelle für Bahnreisende. Ganz drollig wurde es allerdings, als ich ziemlich genau um Mitternacht nach der Verspätung des letzten Zuges von Zittau nach Dresden Ausschau hielt.
Abbildung 20: Trilex 76558 ist zwischen Zittau und Dresden vom Weg abgekommen und fährt nunmehr zwischen Hansu und Friedberg in Hessen. Screenshot von der Trilex-Webseite.
Damit ist klar, daß die Informationen zu Zugläufen und Verspätungen automatisiert von der Deutschen Bahn eingespeist werden. Deren IT-Abteilung wurde wohl auch von Sturm Zoltan weggeweht.
Der Abend des 20. Dezember war naß und auch ein wenig stürmisch. Das mögen die nach wochenlangen Regenfällen aufgeweichten kleineren und größeren Bäume am Wegesrand nicht; sie fallen um. Als der 18:49 nach Görlitz leicht verspätet in Seitschen ankam, ahnte ich noch nicht, was nun geschehen würde. Nämlich erst einmal gar nichts. Irgendwann stieg der Triebfahrzeugführer – ordnungsgemäß mit Warnweste – aus und inspizierte sich bückend und mit Taschenlampe die Fahrgestelle seines Triebwagens. Er scheint nichts gefunden zu haben und fuhr mit einer halben Stunde Verspätung vorsichtig weiter. In der Zwischenzeit wurde auf der Trilex-Webseite ein „umgestürzter Baum auf der Strecke“ angezeigt. Um 19:46 Uhr hielten zwei Triebwagen nach Dresden auf dem Gegengleis; das wird dann wohl der Regionalexpreß gewesen sein, der eine Stunde vorher hätte vorbeischauen sollen. Um 20:12 Uhr kam der um eine Stunde verspätete Regionalexpreß nach Görlitz. Dann war erst einmal fast zwei Stunden Ruhe. Zwischenzeitlich hatten sich die Züge in beiden Richtungen angestaut. Kurz nach zehn erschienen in beiden Richtungen jeweils ein gut gefüllter Dreiteiler, denen im Blockabstand ein weiterer Einteiler folgte. Das ließ auf einen sich normalisierenden Betrieb schließen. Dem war aber nicht so. Irgendwann hieß es erneut „Streckensperrung“. Kurz nach halb eins waren dann auch die letzten Züge durchgekommen, so daß alle, wenn auch mit zum Teil erheblicher Verspätung, noch nach Hause gelangen konnten.
Besinnliche Gedanken
Am 29. November meldete sich das Bundeskartellamt zu Wort. Das Kartell der Bahnhasser bekam einen weiteren Fürsprecher. Man wolle mehr Wettbewerb auf der Bahn, und die Deutsche Bahn habe in ihrer derzeitigen Konstruktion genügend Knüppel in der Hand, um „den Wettbewerb“ zu behindern.
Ins gleiche Horn stießen schon im April CDU und CSU und im Juli die Monopolkommission, ein Beratungsgremium der Bundesregierung.
Sicherlich ist die Deutsche Bahn in ihrem derzeitigen Zustand ein Witz. Überschuldet, unpünktlich, und weiten Bereichen desaströs heruntergewirtschaftet. Eine Schande für dieses reiche Industrieland. Doch mehr Wettbewerb ist nicht die Lösung dieses Problems, eher sogar ein Teil davon
Die vom Deutschen Bundestag im Dezember 1993 beschlossene Bahnreform stellte die Weichen dafür, aus der angeblich verschnarchten Bundesbahn (und ihrem aus der DDR kommenden Pendant, der Reichsbahn) ein betriebswirtschaftlich effizientes, produktives und in vielerlei Hinsicht besseres Unternehmen zu machen. Fast alle Abgeordneten von CDU, CSU, SPD, FDP und den Grünen stimmten dafür. Sie müßten, sofern sie noch leben. persönlich (und das heißt: finanziell) für das Desaster verantwortlich gemacht werden, das sie angerichtet haben. Dieses Desaster ist nicht vom Himmel gefallen; sondern war gewollt. Vielleicht war das einzelnen Abgeordneten nicht klar und sie stimmten einfach wie die Lämmer mit dem obersten Schafbock ihrer Fraktion. Aber Wettbewerb erfordert Opfer; und die Opfer waren und sind die Beschäftigten, die Reisenden und die Steuerzahlerinnen. Denn es gab ein Ziel, ein sehr profitables Ziel: von Anfang an sollte die neu geschaffene Deutsche Bahn filetiert und an die Börse gebracht werden. Wie beim Erfolgmodell Zerschlagung der Bundespost. Das Nachfolgeunternehmen bettelte 2023 darum, Briefe nicht mehr am Folgetag zustellen zu müssen. Das sei ihren Aktionären nicht zumutbar. Ein Ergebnis übrigens von mehr Wettbewerb durch private Zusteller und elektronische Briefe.
Blöderweise kam den Bahn-Börsengängern die Finanzkrise von 2007/08 in die Quere. Die hochfliegenden Pläne, dem Bundeshaushalt Geld zuzuführen und gleichzeitig Heuschrecken und Konsorten ein lukratives Betätigungsfeld zu verschaffen, platzten in dieser Blase gleich mit. Seither wird das Unternehmen mehr schlecht als recht verwaltet und auf eine passende Gelegenheit gewartet, die alten Pläne erneut umzusetzen. Deshalb das anhaltende Geschwätz, Infrastruktur und Betrieb unbedingt trennen zu müssen. Der Betrieb soll versilbert werden, während die Unkosten der Infrastruktur bei der Allgemeinheit verbleiben sollen.
Die Privatisierung des Gesundheitswesens zeigt uns, wie das geht. Nachdem Krankenhausketten fett abgesahnt haben, heulen sie nun hetum, daß ihnen das Personal und die Kosten davonlaufen. Sie machen einen auf insolvent und erwarten, daß der Staat, genauer: du und ich, einspringen. Die Qualität dieses herunterprivatisierten Gesundheitswesens war seit Jahrzehnten nicht so schlecht wie heute. Volle Wartezimmer gab es für Kassenpatienten schon immer, während die Wohlhabenden an uns vorbeigeschleust wurden. (In der DDR mag das ein wenig anders verlaufen sein.) Aber daß wir in diesen vollen Wartezimmern auch noch monatelang auf einen Termin warten müssen, das ist neu. Der Wettbewerb macht's möglich.
Das Schimpfen auf das Bahn-Management und die fetten Boni, die dort eingestrichen werden, hilft auch nicht weiter . Das Management ist auch nicht wirklich unfähig. Wir mussen nur begreifen, was ihr Job ist. Dieser Job besteht nicht darin, die Strecken in Ordnung zu halten, die Fahrpläne einzuhalten, Züge nicht ausfallen zu lassen oder so etwas wie Kundinnenzufriedenheit oder gar Reisekultur zu bieten. Wer braucht denn so etwas? Die deutschen Eliten ganz gewiß nicht, denn sie fahren Porsche oder verpesten die Luft mit ihren Privatflugzeugen wie Friedrich „Blackrock“ Merz.
Das Bahn-Management ist Symptom, nicht Ursache der Misere. Wenn wir bedenken, daß nunmehr seit drei Jahrzehnten der Staat in Gestalt der diversen schwarz-rosarot-grün-gelben Bundesregierungen und der jeweiligen Verkehrsminster die Aufsicht über den weltweit operierenden Konzern gehabt haben, also sehenden Auges das Desaster wenn nicht mitgestaltet, dann doch abgenickt haben, dann können wir davon ausgehen, daß das genau so gewollt war. Vielleicht in Nuancen anders, aber im Prinzip.
Jetzt stellt euch einen großen mit Wasser gefüllten Krug vor. Der Krug war etwas altbacken und mußte sich dem Wettbewerb stellen. Nur der schönste und sparsamste Krug sollte überleben. Dabei fiel unser Krug herunter und all das schöne Wasser floß heraus. Nach einigem Nachdenken kamen Friedrich Merz, die Monopolkommission, das Kartellamt und als Souffleusen die Bahn für alle und die GdL auf die beste Lösung, wie das Herauslaufen des Wassers zu stoppen sei. Sie nahmen einen großen Hammer und schlugen solange auf den Krug ein, bis er wundersamerweise wieder zusammenfand, leuchtend schön wurde und das Wasser bei sich behielt.
Absurd nicht? Aber genau das ist die Logik der Bahnreform 2.0, also der Trennung von Infrastruktur und Betrieb; und ganz nebenbei auch die Logik der Gesundheitsreform von Karl Lauterbach. Wir benötigen Wettbewerb. Mehr Scherben!
Wenn die Wettbewerbströten die Zerschlagung der Deutschen Bahn fordern, dann sollte uns das nachdenklich machen. Sie offerieren mehr von dem, was jetzt schon nicht läuft. In jeder Region fahren andersfarbige Züge oder Triebwagen mit unterschiedlichen Bahnsteighöhen, die nicht miteinander kompatibel sind. Wenn ich weiter oben geschrieben hatte, daß es doch möglich sein müßte, die Desiros, die von Kamenz kommen, mit denen, die aus Görlitz kommen, in Arnsdorf oder Radeberg miteinander zu verkuppeln, so ist dies verrückterweise nicht machbar. Denn selbstverständlich läßt jeder Betreiber seine Wagen mit unterschiedlicher und vor allem inkompatibler Software laufen.
In vielerlei Hinsicht intransparente und inkompatible Tarifsysteme sind seit Jahrzehnten ein Ärgernis. Dies wird nicht besser durch nach vollkommen undurchsichtigen Kriterien zustande gekommenes Tarifsystem der Deutschen Bahn oder ein Deutschlandticket, von dem wir nicht wissen, wie lange es bestehen bleibt; und aus dem Stendal schon wieder aussteigen will. Dort haben die Porschepartei und die Fliegerpartei zusammen mit einer lokalen Wählergruppe das Ticket gecancelt. (Womit der Landkreis anschließend unter Druck gesetzt wurde, ist nicht klar; aber er reihte sich noch im Dezember brav wieder in den Kreis aller ein, die das Ticket anerkennen.)
Die Bahngesellschaften jagen sich die Personale ab oder schließen eigens Stillhalteabkommen, damit der Markt nicht vollends kollabiert . Wenn mal Lokführer in Betrieb oder Region A fehlen, dann ist es einfach nicht möglich, selbige aus Betrieb oder Region B zu holen. Nicht einmal innerhalb des DB-Konzerns. Früher, als alles noch so richtig verschnarcht war, gab es genügend Personal, und zur Not sprang auch mal der Leiter eines Bahnbetriebswerks ein, weil er die Zulassung als Lokführer besaß. Daß eine Güterzuglok vor einen liegen gebliebenen Intercity gespannt wird, weil dessen Hochleistungslokomotive muckt, ist zwar technisch möglich, kommt aber nicht vor. Ihr wißt schon: der Wettbewerb verbietet das.
Wir sehen: das Problem ist nicht mangelnder Wettbewerb, sondern zu viel davon. Das Problem sind die politischen und wirtschaftlichen Strukturen und Ambitionen, die zur Bahnreform geführt haben. Das Management ist austauschbar, wobei dessen Führungsspitze häufig von und im Interesse der Konkurrenz kommt, also der Automobilindustrie oder der Luftfahrbranche. Vielleicht würde die Deutsche Bahn sogar besser funktionieren, wenn ausgewiesene Fachleute sie leiten, also: Bahnreisende, Fahrdienstleiterinnen, Zugbegleiter und die Malocher aus den Werkstätten. Vielleicht.
So verführerisch und in der Tendenz auch richtig dieser Gedanke ist, so bleibt das Grundproblem bestehen, nämlich die Inwertsetzung von Allem und Jeder, knallharte Betriebswirtschaft und Profitorientierung. Und wenn dann mal wieder der Faden reißt, gibt es das Gerangel um Fördermittel, Kohlenausstiegsprogramme und ähnlich hirnrissge Methoden, um trotz Schuldenbremsen und andere Sparzwänge an das dringend benötigte Geld zu kommen. Vor dem Problem stünden dann auch die ausgewiesenen Fachleute, denn die Merzens, Lindners, Habecks, Scholzenz und deren Auftraggeber aus Wirtschaft, Banken und Versicherungen würden eine solche Bahn am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Sie würden an einer fachkundig geleiteten Bahn nämlich nichts verdienen können.
Arno Luik hat irgendwo gesagt oder geschrieben, daß wir wohl drei Jahrzehnte benötigen würden, nur um all die Schäden zu beseitigen, welche die Bahnreform und ihre Durchführung uns gebracht haben. Dazu gehört auch das Immobilienspekulationsprojekt Stuttgart 21, das nicht nur wesentlich teurer werden wird als (schon damals gelogen) behauptet wurde, sondern neue Engpässe und Folgekosten mit sich bringen wird.
Bild 21: Mitte Dezember stellte das Unternehmen, das keine Stellwerke besetzt halten kann, neue Orientierungsschilder auf. Zwischen 54,0 und 54,6 bestand bislang eine Lücke. Der Zwerg rechts daneben schaut bedröppelt.
Von daher seid froh, wenn nur ab und an einmal ein Zug ausfällt. Es könnte schlimmer kommen. Und es wird schlimmer kommen. Der Wettbewerb macht's möglich. Wenn ihr also vom Wettbewerb hört, macht euch bereit, euren Solidarzuschlag für hungrige Anlager und Investoren zu leisten.
Manche Züge fielen aus ganz anderen Gründen unvorhergesehen aus, zum Beispiel wenn sie in der falschen Werkstatt standen. Ein polnischer Hersteller trug dafür Sorge, daß Züge immer schön brav bei ihnen und nicht bei der Konkurrenz gewartet werden. Eine polnische Cybersecurity Gruppe namens Dragon Sector fand den cheat code des Triebwagenherstellers und berichtete darüber auf dem 37c3. Das Video des auf Englisch gehaltenen Vortrags ist online. Das ist besser als Netflix oder Amazon Prime.